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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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aber auch die Art des Gerüchts an sich trug sicherlich einiges dazu bei. Die Geschichte des Verschwindens der kleinen Tarikwa und der Suche nach ihr - Hat irgendjemand das Baby gesehen? - ließ sich nur schwer zusammenfassen, und sie war nicht einmal besonders interessant. Aber die Andeutung, dass hier »Kinderhandel« stattgefunden hatte, rief Angst und Empörung hervor, umgab das Ganze mit einem Geheimnis und machte es daher sehr viel aufregender und erzählenswerter.
    Natürlich ist es von einem ethischen Standpunkt aus richtig und notwendig, dass eine Regierung bei allem, was Adoptionen betrifft, absolut korrekt vorgeht. Kinder zu verkaufen ist ein Verbrechen. Es ist ethisch nicht vertretbar, Kinder von ihren Ursprungsfamilien zu trennen, wenn diese sie behalten wollen. Das Sozialamt handelte also nur verantwortlich, wenn es Überprüfungen vornahm und eine Bestätigung verlangte, dass ein Kind in seinem Zuständigkeitsbereich tatsächlich Waise war.
    Aber diese Geschichte - an der ein paar Beamte ein Exempel statuieren wollten - war an den Haaren herbeigezogen. Der Fall zog sich immer weiter hin, ohne dass eine Entscheidung in Aussicht stand. Hin und wieder wurde die Genehmigung erteilt, dass ein Kind von seiner wartenden ausländischen Adoptionsfamilie in Empfang genommen wurde; aber die meisten Kinder, die einmal bei Haregewoin gelebt hatten, hielt man zurück.
    Das Wort Kinderhandel verfolgte Haregewoins Name bis in die Halbunsterblichkeit des Cyberspace und zirkuliert dort noch immer.
     
    Miniya sprach kaum noch mit ihr. Und wenn, dann nur in knappen Sätzen und wenn sie ein konkretes Anliegen hatte: »Können wir den Kindern diese Woche Fleisch zu essen geben, oder bekommen sie nur Reis?«
    Und wenn Haregewoin eine solche Eröffnung zu nutzen versuchte, um zu dem freundschaftlichen Ton, der einst zwischen ihnen geherrscht hatte, zurückzukehren, dann erwiderte Miniya ihr Lächeln nicht, sondern wandte sich ab. Sie hat sich mit den Jungen gegen mich verschworen. Ich hätte nichts von alldem verhindern können. Sie gibt mir zu Unrecht die Schuld.
    Jetzt war es zu spät, sich wegen Sirak an die Polizei zu wenden. Sirak war verschwunden, und der Vorfall lag schon neun Monate zurück. Aber Wasihun verhielt sich nach wie vor abweisend ihr gegenüber. Wenn sie ihm über den Kopf streichen wollte, duckte er sich und verzog sich mit finsterer Miene.
    Es ist alles schiefgegangen , dachte sie eines Nachts. Aber warum?
    Miniya hätte es ihr sagen können. Miniya hätte gesagt: »Weil du dich wichtiger nimmst als die Kinder. Das Wunderbare an dir war früher, dass du die Fähigkeit hattest, jedes der Kinder zu lieben. Jetzt kennst du sie nicht einmal mehr. Und dann ist da ein Kind, das verletzt ist, Wasihun, und du willst es nicht zum Arzt bringen. Du stellst dich und deine Organisation über die Belange des Jungen. Du fragst mich: ›Aber soll ich deswegen alles aufs Spiel setzen? Soll ich alles, was ich aufgebaut habe, für diesen einen Jungen opfern?‹
    Wenn du mich das fragen musst, dann ist mir das, was du aufgebaut hast, egal.«
    Dann ging Miniya und forderte ihren restlichen Lohn. Haregewoin sagte dem Buchhalter, er solle Miniya jede Summe auszahlen, die sie noch zu bekommen glaubte, aber nichts konnte Minya über ihre Enttäuschung über Haregewoin hinwegtrösten.
    In der Zwischenzeit verschärften sich die Anschuldigungen im Fall von Tarikwa. Das Sozialamt stürmte praktisch ihr Tor und verlangte zu wissen, was sie mit dem Kind angestellt, an wen sie es verkauft hätte.
    Haregewoin hatte das Gefühl, die ganze Welt hätte sich gegen sie verschworen. Ihre Kinder - mittlerweile achtzig (fünfzig in dem großen Haus, dreißig in dem kleinen) - liebten ihre Betreuerinnen heiß und innig, aber ihr gegenüber waren sie gleichgültig. Einige waren nach Miniyas Weggang sehr traurig. Die Betreuerinnen beschwerten sich, dass Haregewoin ihnen zu wenig Geld gab, um die Kinder einzukleiden und für sie zu kochen, und dass ihr Lohn zu niedrig war. Die HIV-positiven Kinder sahen schrecklich aus - übersät mit Entzündungen, kaum noch Haare auf dem Kopf, manche waren bis aufs Skelett abgemagert. Sie hatte großes Glück mit den HIV-positiven Säuglingen gehabt - viele waren unter ihrer Obhut HIV-negativ geworden (in der Medizinersprache: es war eine Seroreversion eingetraten); das gab es nicht bei älteren Kindern, wie ihr nachträglich klar wurde. Das war reines Wunschdenken und fehl am Platz.
    In den ersten Wochen war

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