'Alle meine Kinder'
aufgewachsen, umgeben von Dienstboten. Das laute Toben auf dem gepflasterten Hof und die wild Fußball und Völkerball spielenden Kinder machten ihm Angst. Als Haregewoin ihn nach draußen lockte, setzte er sich dicht neben sie auf die Verandatreppe. Jedes Mal, wenn sie ins Haus lief, um ein Telefongespräch entgegenzunehmen, und sich dann wieder nach draußen wandte, stand er neben ihr.
»Er ist ein sehr kluger Junge, sehr klug«, sagte sie. »Genau wie seine Mutter.«
Sie, ihr Enkelsohn, mein achtzehnjähriger Sohn Lee, ihr ältester Pflegesohn Hailegabriel und ich gingen eines Sonntagnachmittags zum Pizzaessen. Wir saßen unter einem Sonnensegel auf einer Terrasse. Obwohl ihr Enkel still war und wenn, dann nur im Flüsterton sprach, wusste er genau, was er wollte. Er wollte eine Cola. Er wollte eine Pizza. Und er wollte auf dem angeschlagenen Gipspferd reiten, das vor der Pizzeria stand. Wenn man eine Münze einwarf, ruckelte es vor und zurück. Er war ein bisschen zu alt und zu groß für diese Art von Spielzeug, aber er hatte so etwas noch nie gesehen. Er stand lange da und betrachtete es, die Hände in den Taschen seiner Khakihose vergraben, bis Haregewoin ihm von der Terrasse aus zurief, ob er darauf reiten wolle. Er nickte. Sie kramte eine Münze hervor, und er kam angerannt, um sie sich zu holen. Dann setzte er sich auf das Pferd und ließ sich herumschleudern. Beinahe verlor er den Halt, als er sich seine Kappe tief in die Stirn zog, um sie nicht zu verlieren. Er setzte seinen Ritt mit grimmiger Entschlossenheit fort. Aber als Haregewoin rief: »Gefällt es dir?«, blickte er auf, und seine ernsten braunen Augen fingen an zu leuchten, und er rief: »Ja!«
»Er ist so ein guter Junge«, sagte sie.
»Wie seine Mutter?«, fragte ich, und sie lachte.
Hätte sie ihm einen Cowboyhut und einen Cowboygürtel und Cowboystiefel kaufen können, hätte sie es getan; hätte sie ihm einen weißen Hengst schenken können und grüne Weiden, über die er hätte galoppieren können, hätte sie das getan und noch viel mehr.
Mittlerweile liefert Ashibers Fahrer den Jungen jeden Samstag vor Haregewoins Tor ab, damit er seine Großmutter besuchen kann.
Es gab so vieles, wofür man dankbar sein konnte.
Die von UNAIDS und der Weltgesundheitsorganisation unter Leitung von Dr. Lee Jong-Wook ins Leben gerufene Initiative »3 by 5« war ein Wendepunkt für die Armen dieser Welt: Ziel dieser Initiative war es, drei Millionen Menschen in armen Ländern und Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen bis 2005 Zugang zu lebensrettenden Aids-Medikamenten zu verschaffen.
Die Festlegung eines solchen Ziels (an das gar nicht zu denken gewesen wäre, bevor generische antiretrovirale Medikamente zur Verfügung standen) war ein Anstoß für jede Regierung und gab Anlass zu großen Hoffnungen. Auf den höchsten Ebenen globaler Gesundheitsvorsorge wurden bestimmte Themen - zum Beispiel, ob es kosteneffizient sei, Kranken eine Behandlung zukommen zu lassen, oder ob es besser sei, die Kranken sich selbst zu überlassen und sich stattdessen auf Prävention zu konzentrieren - endgültig ad acta gelegt. Die Vorstellung, einen allgemeinen Zugang zu schaffen, ließ alle anderen Themen in den Hintergrund rücken.
Mediziner aus allen Ländern berichteten, dass jetzt, da es anstelle schlechter Neuigkeiten die Möglichkeit einer Behandlung gab, das Interesse der Patienten an Tests, Beratung und Prävention wuchs, während ihre gesellschaftliche Stigmatisierung abnahm. Es wurden neue Strategien entwickelt, damit auch in »unterentwickelten Gebieten« wirksame ARV-Behandlungen vorgenommen werden konnten, unter anderem die Ausbildung von Hilfskräften, so dass diese bestimmte medizinische Maßnahmen durchführen konnten.
Die Ergebnisse dieser Experimente waren phantastisch: Es stellte sich heraus, dass sogar die Leute in Afrika mit Zeitangaben umgehen konnten, dass sogar die Leute in Afrika blaue Tabletten von rosafarbenen Tabletten unterscheiden konnten.
Die Zahl der Patienten mit Aids-Vollbild, die Zugang zu ARV-Kombinationstherapien hatten, stieg von 400 000 im Dezember 2003 auf 1,3 Millionen im Dezember 2005. Nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation rettete der vermehrte Zugang zu einer Behandlung im Jahr 2005 zwischen 250 000 und 350 000 Leben. 136
Der Global Fund to Fight Aids, Tuberculosis and Malaria ist der größte Hoffnungsträger für die Armen dieser Welt. 2001 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufen,
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