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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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und Formalitäten nahmen fast jede wache Stunde in Anspruch. Wenn sie in ihr Schlafzimmer ging, um einen Moment für sich zu sein, sprangen sofort ein paar Verwandte auf, um ihr zu helfen - sie liefen voraus und schüttelten ihr das Bett auf, brachten ihr ein Glas Wasser, erboten sich, Tee zu kochen. Ihr Vater war zu alt zum Reisen, aber als sie ihn anrief, weinte er. Es schien noch gar nicht so lange her zu sein, dass Worku Richter Teferra Woldmariam um die Hand seiner Tochter gebeten hatte. Jetzt hatte der Richter ihn überlebt. »Es tut mir weh, dich als Witwe sehen zu müssen«, sagte er.
    Dann schienen plötzlich alle das Gefühl zu haben, dass es genug des Trostes war, und kehrten in ihre Häuser und Dörfer zurück.
    Haregewoin wusste nicht genau, was sie jetzt mit sich anfangen sollte. Die drei Frauen schleppten sich durchs Haus, aber nur weil sie schlafen, sich waschen, anziehen und hin und wieder reden mussten. Sie bewegten sich wie alte Leute. Die Geräusche im Inneren des Hauses waren gedämpft, während die Geräusche, die von draußen hereindrangen, schrill und laut schienen.
    Atetegeb, dreiundzwanzig Jahre alt, arbeitete für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und war als Disponentin für die Entsendung von Lastwagen mit Lebensmitteln in Hungergebiete zuständig. Sie war gläubig und versuchte, den Tod ihres Vaters als göttliche Fügung zu begreifen. »Gott hat ihn zu sich gerufen«, sagte sie. Suzie studierte an der Universität. Nach ein paar Wochen ging sie wieder mit ihren Freunden aus, aber jetzt verließ sie leise das Haus und ließ die Tür nicht wie sonst unter fröhlichem Gelächter hinter sich zufallen. Atetegeb verbrachte die Abende in ihrem Zimmer und las. Aber Haregewoin spürte, dass Atetegeb einen gewissen Widerstand zu entwickeln begann; ihre Nachgiebigkeit schien mit dem Tod des Vaters aufzuhören; sie wurde ihrer Mutter gegenüber aufsässig und fing wegen der geringsten Kleinigkeit an zu streiten; es genügte schon, dass Haregewoin ein bestimmtes Essen kochte, und Atetegeb erklärte, sie hätte lieber etwas anderes gewollt oder dass es zu wenig gewürzt sei. In intellektueller Hinsicht war sie anderen immer voraus gewesen, dachte Haregewoin, aber in sozialer Hinsicht war sie ein Spätzünder. Sie begann sich nachts aus dem Haus zu schleichen, in Anbetracht ihrer mangelnden Erfahrung erschien dies eine übertriebene Heimlichtuerei. Da sie es nicht gewohnt war, wie Suzie im Kreis von Freundinnen und umgeben von einer Schar männlicher Bewunderer durch die Straßen zu promenieren, fehlte es ihr an Unbeschwertheit. Sie tat alles mit großem Ernst. Sie wusste nicht, wie man flirtete, eine Beziehung einging, sie wieder beendete. Während Haregewoin alle Freunde von Suzie kannte, kannte sie keinen einzigen von Atetegeb, auch nicht den geheimnisvollen Mann, der Atetegebs Freund war, wie sich herausstellte. Hätte Worku dieses Mal auch » teyat « gesagt, lass das Kind in Ruhe?
    Suzie war ihnen eines Abends zufällig auf der Straße begegnet und hatte so den Mann kennengelernt, den ich hier Ashiber nennen will. »Er ist unsympathisch«, sagte sie.
    »Wie sieht er aus?«, fragte Haregewoin.
    »Alt. Sehr groß, sehr kräftig, helle Haut. Er ist furchtbar von sich überzeugt.«
    »Vielleicht macht sie mit ihm Schluss.«
    »Das wird sie nicht tun«, sagte Suzie voll düsterer Vorahnungen.
    Wenn ein Mann nichts taugt, dann heißt es bei Suzie »Auf Wiedersehen! Her mit dem Nächsten!« , dachte Haregewoin. Atetegeb ist da ganz anders. Aber ich sage den Mädchen immer: »Ich suche keinen Mann für euch aus. Ihr müsst euch schon selbst einen suchen. Sucht euch jemanden, der gut zu euch ist.«
    Sie hoffte, dass Atetegebs gutes Herz ihr den rechten Weg weisen würde. Schon als Kind war sie immer ungemein großzügig gewesen. »Sie greift in die Tasche, um einem Bettler einen Birr zu geben«, erzählte mir Haregewoin, »und wenn sie aus Versehen einen Hundert-Birr-Schein herauszieht, dann gibt sie ihm den. ›Warum verschenkst du so viel Geld‹, frage ich sie, und sie antwortet: ›Wer sagt denn, dass ein Armer keine hundert Birr haben soll?‹ Sie kommt mit der Hälfte oder einem Viertel ihres Gehalts nach Hause, den Rest hat sie verschenkt.«
    Die drei Frauen standen sich nach wie vor sehr nahe, aber sie machten am Wochenende keine gemeinsamen Ausflüge mehr. Sie hatten einen kleinen Fernseher, den sie oft während des Abendessens einschalteten. Tagsüber im Büro plauderte

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