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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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dessen Regierung Tausende von Menschen verhungern.
    Die lebenden Toten erhoben ihre Stimme. Ihre bitteren Gedichte wurden jahrelang von Mund zu Mund weitergetragen, allerdings drangen sie bis vor kurzem nicht aus dem Land heraus.
     
    Oh, dieser grausame Tag, wie grausam er war,
machte einen Kuhhirten aus mir,
warf die Schwester den Geiern vor. (Couplet 18)
     
    Ich habe mit Gott gestritten
um nichts weiter
als ein Stück Brot.
»Warum willst Du es mir nicht geben?
Du kannst es doch nicht essen,
Du hast doch keinen Magen.« (Couplet 56)
     
    Professor Fekade Azeze von der Universität in Addis Abeba hat die Texte der »anonymen Dichter« gesammelt, die Verse über ihren Hunger schrieben und weitergaben. Die schrecklichen Botschaften entbehren weder des Scharfblicks noch des Sarkasmus:
     
    Die Wolken verblassten am Himmel,
und der Regen verschwand von der Erde,
als wären sie zornig über die krakeelenden Komitees.
(Couplet 3)
     
    Ich wünschte, Gott stiege auf die Erde hernieder,
und ich würde Ihm von seinen Werken erzählen.
Er denkt nämlich, dass ich glücklich bin, weil ich Ihn preise.
(Couplet 55)
     
    Selbst Mann und Frau
geben sich nicht mehr gegenseitig zu essen,
weil jeder von ihnen sagt:
»Rette mich, Herr! Oh, Herr!«
(Couplet 12) 45
     
    Mit dem Zerfall der Sowjetunion verlor Mengistu seine Rückendeckung, seine gefüllten Bankkonten und seine Waffenlieferungen. Die EPRDF und die Tigrayan People’s Liberation Front (TPLF) besetzten Addis Abeba und entmachteten den Derg . Erleichtert und in dem Gefühl, ebenfalls befreit worden zu sein, kehrten Mengistus Soldaten barfuß und hungrig zu ihren überall im Land verstreuten Familien zurück. Mengistu floh nach Simbabwe.
    Der Rebellenführer Meles Zenawi wurde zum Premierminister ernannt, und die EPRDF wurde Regierungspartei.
    Das Experiment der Sowjets hatte eine halbe Million unschuldiger Menschen das Leben gekostet.
    Und die Zahl der Aids-Waisen stieg auf 294 000, damit lag 1995 Äthiopien nach Uganda, der Demokratischen Republik Kongo und Simbabwe weltweit an vierter Stelle.
    Mengistus Sturz weckte große Hoffnungen. Zweimal innerhalb von 17 Jahren hatten sich die Äthiopier von einem despotischen Herrscher befreit.
    In ganz Afrika lehnten sich die Menschen gegen Kolonialansprüche und Unterdrückung auf; gegen die fremden Staaten, die ihnen Öl, Kupfer, Gold, Uran, Diamanten, Kaffee, Chrom, Arbeit und ihre Gleichheitsrechte stahlen. Angola, Mosambik, Namibia, Simbabwe und Südafrika führten Befreiungskriege; der Rest (außer Liberia und Äthiopien - die nie kolonialisiert worden waren) trug politische Kämpfe aus.
    Von Libyen im Jahr 1951 bis Südafrika im Jahr 1994 fielen die Kolonialmächte. Mit dem Rückzug der Sowjetunion gab es auch keine Investitionen mehr auf den afrikanischen Schlachtfeldern wie im Kalten Krieg. Für Äthiopien war es an der Zeit, sich gemeinsam mit den postkolonialen afrikanischen Staaten an das Abenteuer Frieden und Demokratie, Bildung, Frauenrechte, Gesundheit und wirtschaftliche Entwicklung zu wagen.
    Stattdessen begann die »Entwicklungs«-Uhr rückwärtszugehen - wegen des heimlichen Feindes, der keiner Ethnie angehörte und keine Politik vertrat und wegen des Welthandels und der Finanzpolitik der Industrienationen, die den jungen Regierungen aufgezwungen wurden.
    »Begriffe wie ›Entwicklungsländer‹ [erwecken] den Eindruck, dass sich die gesamte Welt in die gleiche Richtung bewegt, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit«, schreibt Mark Heywood vom AIDS Law Project der Universität Witwatersrand in Johannesburg. »Aber es bewegt sich nicht die gesamte Welt in die gleiche Richtung. Viele sogenannte ›Entwicklungsländer‹ sollte man besser als Nichtentwicklungsländer bezeichnen. Sie bewegen sich rückwärts. Bei einer ganzen Reihe zentraler Indikatoren hat inzwischen eine Umkehr in der Entwicklung stattgefunden. Seit 1992 steigt die Säuglingssterblichkeit in Südafrika wieder an, nachdem sie 20 Jahre lang gesunken war. Die Lebenserwartung von Erwachsenen sinkt. Die Armut wächst.« 46
    All das gilt auch für Äthiopien. Zu den Auslösern des gesellschaftlichen Zusammenbruchs zählte nicht nur die HIV/ Aids-Epidemie, sondern auch die von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds aufgezwungene Politik der Strukturanpassung. Ab 1980 wurden Kredite an Entwicklungsländer davon abhängig gemacht, dass die Kreditnehmer eine freie Marktwirtschaft einführten, und zwar ohne Übergang. Diese

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