Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
Vom Netzwerk:
noch Mengistu hatten in das öffentliche Gesundheitswesen investiert. 90 Prozent der Äthiopier verfügten über keine richtigen Sanitäranlagen. 75 Prozent hatten keinen Zugang zu sauberem Wasser. 90 Prozent der Mütter brachten ihre Kinder ohne medizinische Hilfe zur Welt (verglichen mit 66 Prozent in Schwarzafrika). Weniger als die Hälfte der Bevölkerung lebte in einem Umkreis von zehn Kilometern zu irgendeiner medizinischen Einrichtung, und die existierenden Einrichtungen waren heruntergekommen und verfügten weder über eine angemessene Ausstattung noch über die nötigsten Medikamente.
    1991 beschloss Haregewoin, Geld von ihrem Konto abzuheben, sich ein Flugticket nach Kairo zu besorgen und sich dort in einem Krankenhaus untersuchen zu lassen.
    Schweren Herzens kündigte sie bei Burroughs Computer, und an einem Freitagnachmittag - sie wünschte, sie wäre zu Hause im Bett - bedankte sie sich bei allen für die kleine Abschiedsparty, die sie für sie gaben. Sie waren wirklich traurig darüber, dass sie ging. Als Älteste von zwanzig Geschwistern hatte Haregewoin eine gewisse Nachsicht gelernt, sie ertrug die größten Albernheiten und das schlimmste Chaos mit stoischer Miene, um dann irgendwann in die Hände zu klatschen und für Ordnung zu sorgen. Obwohl ihre Kollegen sie alle überragten, gefiel es ihnen, dass sie sie wie ihre frechen kleinen Brüder und Schwestern behandelte, im gleichen Atemzug schimpfte und lachte. Sie würde ihnen fehlen.
    Ihre Töchter fuhren sie zum Flughafen. Drei kleine, mollige, schöne Frauen standen auf dem Parkplatz und hielten einander lange umarmt, mit zusammengesteckten Köpfen, das Gesicht von Haaren verdeckt, die Arme ineinander verschränkt. Sie hatten beschlossen, dass Suzie ihr Studium beenden und Atetegeb ihre Arbeitsstelle beim World Food Programme behalten sollte und dass Haregewoin allein nach Ägypten reisen würde. Die Mädchen versprachen ihr, sie zu besuchen, sobald sie Ferien hätten. Die drei hielten sich umfasst und weinten. Was, wenn es das letzte Mal war? Einen Moment lang klammerten sich die jungen Frauen wie kleine Kinder an das Baumwolltuch ihrer Mutter, als sie sich aus ihren Armen lösen musste, und stießen einen Klagelaut aus.
    Eine Frage blieb ungeklärt: Ashiber. Als Haregewoin die Treppe zum Flughafen von Addis Abeba hinaufging und sich umdrehte, um zuzusehen, wie ihr kleines blaues Auto vom Parkplatz fuhr, fragte sie sich, ob Atetegeb jetzt dachte: Ich bin frei!
     
    Endlich eine gute Nachricht: die ägyptischen Ärzte fanden lediglich eine gutartige Gebärmutterzyste. Haregewoin blieb zunächst noch eine Weile in der von der Sonne aus Ton gebrannten Stadt, um sich zu erholen, und beschloss dann, ganz zu bleiben. Sie sollte sieben glückliche Jahre hier verbringen. In Kairo gab es eine große Gemeinde von Äthiopiern aus der Mittelschicht, die vor dem kommunistischen Regime in ihrer Heimat geflohen waren. Haregewoin fand eine Stelle als Caterer und Veranstaltungsorganisatorin bei einer äthiopisch-orthodoxen Kirche. Zuerst wohnte sie in einem Zimmer, das ihr die Kirche zur Verfügung stellte, dann zog sie in eine eigene kleine Wohnung. Atetegeb und Suzie kamen zu Besuch, und Haregewoin versuchte, sie zum Bleiben zu überreden. Suzie erklärte sich bereit und zog zu ihr nach Kairo. Aber Atetegeb erklärt, sie hinge an ihrer Arbeit beim World Food Programme in Addis Abeba und wolle zurückkehren.
    Haregewoin sparte sich die Mühe, sie darauf hinzuweisen, dass Kairo ebenfalls ein hervorragender Ausgangspunkt für Hilfsprogramme gegen den Hunger war.
     
    Major Mengistu Haile Mariam wurde 1991 gestürzt, als Haregewoin bereits in Kairo lebte.
    Sein Zwangsumsiedlungsprogramm hatte zu Hungersnöten geführt, und Mengistu versuchte, das zu vertuschen, genauso wie der letzte Kaiser. Das erneute Auftauchen wandelnder Skelette strafte seine Dementi Lügen.
    »Während dieser Zeit starben in Äthiopien eine Million Menschen, eine Tatsache, die zuerst von Kaiser Haile Selassie und danach von dem Mann, der ihm Thron und Leben nahm, verheimlicht wurde«, schreibt Kapuscinski. »Ihr Streben nach Macht trennte sie, ihre Lügen vereinten sie.« 43
    Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat festgestellt, dass es noch niemals eine Hungersnot in einem Land mit einer freien Presse gegeben hat. 44
    Eine freie und gut informierte Wählerschaft lässt es nicht zu, dass ein Präsident oder ein Premierminister im Amt bleibt, unter

Weitere Kostenlose Bücher