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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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Strukturanpassung (auch bekannt als Schocktherapie) erforderte es, die Mittel für öffentliche Aufgaben wie Gesundheit und Bildung zu kürzen. Überall in Afrika wurden Schulgebühren eingeführt, damit der Staat nicht mehr allein für die Schulen aufkommen musste; und auch in Krankenhäusern und Kliniken wurden Gebühren eingeführt, um den öffentlichen Haushalt zu entlasten. Die neue Politik schloss die Armen aus dem Gesundheits- und Bildungswesen aus.
    In den reichen Ländern haben sich freie Marktwirtschaften über Jahrhunderte hinweg durch Versuch und Irrtum entwickelt, aber die Geschichte hat die von außen kommenden Experten nicht von ihrer utopischen Mission abgehalten, mit katastrophalen Folgen.
    Als die Vereinten Nationen im Jahr 2005 für den Human Development Index Gesundheitszustand, Lebenserwartung, Ausbildung und Lebensstandard der Bevölkerung in 177 Staaten einschätzte, landete Äthiopien an 170. Stelle. Der Gender-Related Development Index der Vereinten Nationen, der geschlechterspezifische Ungleichheiten erfasst, nannte Äthiopien unter 140 Staaten an Stelle 134. Für den Human Poverty Index wurden 103 Staaten untersucht und hier landete Äthiopien an Stelle 99. 47
    Wohlergehen und Gesundheit der Menschen befanden sich im freien Fall.

8
    In vielen Ländern erscheint eine Heirat zur Erlangung der Green Card in den USA verlockend; während ihres Aufenthalts in Kairo hörte Haregewoin von einem jungen Amerikaner äthiopischer Herkunft in Maryland, der zu entsprechenden Verhandlungen bereit war. Er willigte ein, für eine bestimmte Summe nach Addis Abeba zu fliegen, Atetegeb zu heiraten und sie mit in die Vereinigten Staaten zu nehmen. Atetegeb erklärte am Telefon, sie würde es sich überlegen. Ein paar Tage später rief sie ihre Mutter an und sagte ja. Haregewoin machte sich keine Illusionen: Sie nahm an, dass Atetegeb vorhatte, sich von ihrem Green-Card-Ehemann scheiden zu lassen, sobald sie in den Vereinigten Staaten Fuß gefasst hatte, Ashiber zu heiraten und ihn nachzuholen. Sie hoffte allerdings, dass der Sicherheitsmann in Vergessenheit geraten würde, sobald sich ihre Tochter in den Vereinigten Staaten eingelebt hatte und die Freiheit dort genoss.
    Bevor jedoch eine Hochzeit zum Zweck der Einwanderung stattfinden konnte (und Haregewoin beeilte sich wirklich), ergriff Ashiber die Initiative. Atetegeb rief erneut an, dieses Mal gab sie ihre Verlobung mit Ashiber bekannt - die Hochzeit sollte schon in wenigen Wochen stattfinden! Eines musste Haregewoin dem Mann lassen: Er war vorausschauend. Er hatte zweifellos die gleiche Entwicklung vorhergesehen wie sie: Atetegeb als moderne amerikanische Frau, die die Verbindung zu ihrem Freund in der Heimat kappte.
    Die Störungen in der Telefonleitung - die parallel zum Roten Meer durch den östlichen Sudan verlief - verwandelten den Aufschrei der Mutter und ihre Klagen und Einwände in einen überraschten Ausruf und Glückwünsche. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Die Besorgnis der Mutter ging ins Leere, entwich aus der brüchigen Leitung und verschwand wie ein Tropfen Wasser im ockerfarbenen Glutofen der Nubischen Wüste.
    Haregewoin weigerte sich, zur Hochzeit nach Hause zu fliegen. Sie schob ihre Arbeit vor, die Kosten, eine schlimme Erkältung. Die Wahrheit war, wie sie Suzie gestand: »Ich will ihn nicht sehen. Ich will ihn nicht mit ihr zusammen sehen.« Ashiber und Atetegeb wurden in aller Stille von einem orthodoxen Priester getraut. Vielleicht würde es ja gutgehen mit den beiden, hoffte Haregewoin aus der Ferne.
    Dann wurden die Briefe ihrer zurückhaltenden Tochter immer kürzer und seltener. Es war nicht leicht anzurufen, aber Haregewoin tat es.
    »Sag mir, was los ist«, sagte sie.
    »Nichts, Mutter. Mir geht es gut.«
    »Sag es mir, Liebes.«
    »Ich bin nur müde. Ich bin einfach nur sehr, sehr müde.«
    »Behandelt er dich gut? Ist er freundlich zu dir?«, erkundigte sich die Mutter.
    »Ja, Mutter. Er ist gut zu mir. Er ist nett. Damit hat es nichts zu tun. Ich muss jetzt Schluss machen. Ich hab dich lieb.«
    Haregewoin und Suzie schrieben jede Woche an Atetegeb: »Komm zu uns! Nur zu Besuch!«
    »Mein Ehemann würde es nicht schätzen, wenn ich nicht bei ihm wäre«, lautete die merkwürdig gestelzte Antwort.
    Hier und da fand sich in Atetegebs Briefen ein Hinweis auf eine Krankheit: Erschöpfung, Depressionen, ein hartnäckiger Husten und an manchen Tagen eine so große Mattigkeit, dass sie es kaum schaffte

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