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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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aufzustehen.
    »Bitte lass dich untersuchen«, schrieb Haregewoin und legte dem Brief Geld für den Besuch bei einem Arzt bei.
    »Bitte macht euch nicht so viele Sorgen um mich«, schrieb Atetegeb zurück. »Ich habe euch beide sehr lieb.«
    Eines Abends nach der Arbeit öffnete Suzie die Post und stieß einen Schrei aus.
    »Um Gottes willen! Was ist los?«, rief Haregewoin.
    Suzie hielt den Brief in die Höhe. »Sie ist schwanger.«
    Sie beeilten sich zu antworten und schrieben in den nächsten Tagen viele Briefe. »Geht es dir denn auch gut genug dafür? Bist du deswegen immer so müde gewesen? Waren das die ersten Anzeichen der Schwangerschaft?«
    »Wahrscheinlich waren es nur die ersten drei Monate, die sie so müde gemacht haben«, sagte Haregewoin beim Abendessen erleichtert. Suzie rechnete im Stillen nach und hatte ihre Zweifel.
    Haregewoin flog für einen Besuch nach Hause. Atetegeb, blass und mit dunklen Schatten unter den Augen, breitete die Arme aus.
    »Mein Liebling!«, rief Haregewoin und drückte sie an sich.
    Ashiber war in Hochstimmung: ein verheirateter Mann, ein werdender Vater, Herr im eigenen Haus. Haregewoin bemühte sich nach Kräften, ihn zu mögen; wenn beim Abendessen sein Lachen durchs Zimmer dröhnte, fiel sie halbherzig mit ein. Haregewoin merkte, dass er sie beeindrucken wollte; wenn ihm das nicht gelang, wich er ihrem Blick aus, erhob sich mit einer Entschuldigung abrupt vom Tisch und verließ das Zimmer.
    Haregewoin füllte Atetegebs Schränke mit Lebensmitteln und Vitaminen. In einer Drogerie studierte sie die Verpackung eines amerikanischen Shampoos, das »Leuchtkraft« versprach, und kaufte es. Nach zwei Wochen bestellte sie ein Taxi, um sich zum Flughafen bringen zu lassen. Zum Abschied umarmte sie ihre Tochter und flüsterte: »Komm zu uns. Wir haben Platz für dich. Komm, und bring dein Kind in Kairo auf die Welt, danach kannst du ja wieder nach Hause.«
    »Ich soll meinen Ehemann verlassen?«, rief Atetegeb erstaunt aus.
    »Nein, du sollst ihn nicht verlassen, du sollst dir nur von uns mit dem Kind helfen lassen, bis du dich wieder kräftiger fühlst«, sagte Haregewoin und strich ihrer Tochter über die Haare.
    Als sie in dem stickigen Taxi saß, kurbelte sie das Fenster herunter und rief: »Ich habe dich sehr lieb.« Mit zitternden Händen öffnete sie ihre Geldbörse und gab ihrer Tochter ein Bündel Geldscheine, ihre Reisekasse. »Das ist für dich. Verwende es nur für dich.«
     
    Sechs Monate später brachte Atetegeb einen gesunden Jungen zur Welt. Bei dem kurzen Anruf hörte Haregewoin die Erleichterung und Freude in Atetegebs Stimme. Selbst Ashiber kam ans Telefon und rief: » Selam, Ayateh! « Hallo, Großmutter! Haregewoin raste durch Kairo und kaufte Geschenke für das Baby, überaus glücklich und erleichtert, einer unbekannten Katastrophe entronnen zu sein.
    Sobald die Geschenke verschickt waren und die erste Aufregung sich gelegt hatte, verspürte Haregewoin erneut eine nagende Furcht. Sie wachte nachts schweißüberströmt und von düsteren Vorahnungen geplagt auf, wie in den Monaten, in denen sie gedacht hatte, sie hätte Krebs. Sie rollte sich im Bett zusammen, überlegte, woher ihre Sorge rührte - handelte es sich um neue Schmerzen, eine Krankheit, die sich ankündigte? Im Geiste unterzog sie ihren Körper einer Untersuchung, aber sie konnte keinen Hinweis finden. Nein, es hatte mit Atetegeb zu tun.
    »Soll ich kommen, um dir mit dem Baby zu helfen?«, schrieb sie.
    »Ja, aber nicht jetzt. Komm doch später«, schrieb Atetegeb zurück.
    »Soll ich fahren?«, fragte sie Suzie.
    »Ich weiß es nicht, Mutter. Soll ich fahren?«
    »Na ja, deine Schwester hat gerne Geld. Wir sollten besser weiterarbeiten und ihr hin und wieder etwas zukommen lassen. Ich weiß nicht, wie viel Geld er ihr gibt. Außerdem, wenn ich zurück nach Addis gehe, wo soll ich dann wohnen - bei ihnen?«
    »Bei Ashiber?!«
    Als hätten sie das Thema nicht gerade erst abgehakt, fragte sie Suzie nach wenigen Tagen jedoch erneut: »Soll ich fahren?«
    Sie rief in Addis Abeba an. Ashiber meldete sich, er war unfreundlich. »Sie schläft«, sagte er und legte auf.
    Ein paar Tage später rief sie wieder an und hatte wieder ihn am anderen Ende. Sie schraubte ihre Stimme eine Oktave höher und versuchte einfach nur wie eine glückliche Großmutter zu klingen. »Wie geht es dem Baby? Wie geht es meiner Tochter?«
    Dieses Mal antwortete er: »Sie ist nicht da.«
    Jetzt sagte ihr der Knoten in ihrem

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