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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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sie am nächsten Morgen, als er zur Tür hinausschlüpfen wollte. Er war dünn wie eine Bohnenstange. Sein Gesicht war eingefallen und knochig, und seine Schneidezähne standen stark vor. Es war ihr klar, dass ein netter junger Mann in ihm steckte, aber sollte er so weitermachen, war er bald tot. Wenn die Mädchen in Äthiopien an der eigenen Machtlosigkeit zugrunde gingen, dann die Jungen an ihrer Hoffnungslosigkeit.
    »Du kannst heute nicht weg«, sagte Haregewoin zu Abel.
    »Was soll das heißen?«
    »Das heißt, dass du heute den Hof nicht verlässt, wenn du weiterhin hier wohnen willst.«
    »Und was soll ich tun?«
    »Das Auto waschen.« Sie reichte ihm einen Eimer. Er zuckte die Schultern und trottete hinaus auf den Hof. Schon bald hörte sie Stimmen und Gelächter, Genet hatte sich offensichtlich zu ihm gesellt. Was die beiden wohl zu lachen hatten? Haregewoin blickte zum Fenster hinaus und sah, dass Genet mit verschränkten Armen dastand und kicherte. Und Abel? Er kniete neben dem Auto. Hatte sein Gesicht dagegen gepresst. O Gott, er inhalierte Benzindämpfe aus dem Tank.
    »Abel!«, brüllte sie. Sogar kniend war er groß; er lehnte sich schwankend mit einem dümmlichen Grinsen im Gesicht zurück, und Genet brach in Lachen aus, begeistert über seinen Ungehorsam.
    »Abel, was soll ich nur mit dir machen? Bist du etwa süchtig nach diesem Zeug?«
    Er zuckte verträumt die Schultern.

16
    »Wir haben noch zwei Kinder«, sagte der MMM-Leiter, als weitere sechs Wochen vergangen waren. Er sprach schnell, als hätte er Angst, dass Haregewoin einhängen könnte, sobald sie seine Stimme erkannte.
    »O nein! Noch mehr Jugendliche überlebe ich nicht«, rief Haregewoin. »Besser, Sie rufen jemand anderes an.«
    » Waizero Haregewoin«, sagte er verletzt. »Ich habe sonst niemanden, den ich anrufen könnte.«
    Sie war so verblüfft, dass ihr keine Erwiderung einfiel.
    »Es sind zwei kleine Mädchen. Sie sind beide etwa sechs Jahre alt.«
    »Zwei? Sechs ? Was ist mit ihren Familien?«
    Der Mann schwieg kurz, dann flüsterte er: » Aminmina .«
    Bald wusste sie, dass es besser war, gar nicht erst zu fragen.
    »Tu das nicht, Haregewoin«, baten ihre Freunde, als Haregewoin ihnen am Telefon erzählte, dass sie zwei kleine Mädchen bei sich aufnehmen würde. Es wäre eine Sache, Jugendlichen auf die Beine zu helfen, meinten die Freunde; das wäre eine gute Beschäftigung für sie, in gewisser Weise die Fortsetzung der Arbeit ihres verstorbenen Ehemanns, der Lehrer und Rektor an einer Highschool gewesen war. Aber Aids-Waisen bei sich aufzunehmen war leichtsinnig und gefährlich. Damit setzte sie sich einem ganz anderen Risiko aus.
    Im Äthiopien des Jahres 2000 hatten alle den Eindruck, dass man nichts Gefährlicheres tun konnte.
    19 Jahre zuvor, im Frühling 1981, waren acht schwule Männer mit einer merkwürdig aggressiven Form des Kaposi-Sarkoms (KS) in New Yorker Arztpraxen aufgetaucht - ein Krebs, der normalerweise nur ältere Menschen befiel und dann gutartig war. Am 5. Juni 1981 berichteten die US Centers for Disease Control (CDC), dass in Krankenhäusern in Los Angeles fünf junge Männer, allesamt aktiv homosexuell, auf eine bioptisch bestätigte Pneumocystis-carinii-Pneumonie (PCP), eine seltene Lungenentzündung, behandelt worden waren, dass zwei der Patienten gestorben waren und dass bei allen fünf eine Zytomegalie-Virusinfektion und eine Candida-Pilzinfektion der Schleimhäute diagnostiziert worden war. Dieser Bericht markiert den Beginn der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Aids-Epidemie in Amerika.
    Am 4. Juli 1981 berichtete CDC, dass in den letzten 30 Monaten 26 KS-Fälle diagnostiziert worden waren, alle bei schwulen Männern.
    Forscher am National Cancer Institute in Maryland testeten mit einem neuen Gerät namens Fluorescent Activated Cell Sorter, einem Durchflusszytometer, das Blut von 15 augenscheinlich gesunden Homosexuellen aus Washington und Umgebung. Die Ergebnisse wiesen bei der Hälfte von ihnen auf so schwere Abnormitäten des Immunsystems hin, dass die Forscher zu dem Schluss kamen, das Gerät habe nicht richtig funktioniert.
    1978 und 1979 wurden auf Haiti die ersten Aids-Fälle festgestellt, was in etwa mit den frühesten Meldungen über Aids in den Vereinigten Staaten zusammenfiel.
    Schwedische Forscher stellten zwischen 1979 und 1980 die ersten HIV-Infektionen unter den schwulen Einwohnern Stockholms fest.
    Das gleichzeitige Auftreten verschiedener Symptome erhielt in der

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