'Alle meine Kinder'
medizinischen Fachliteratur und den Medien eine Reihe von Namen: Schwulenkrebs, Schwulenseuche und GRID - gayrelated immune deficiency .
Diejenigen, die krank wurden, waren dem Angriff seltsamer und schmerzhafter Symptome ausgesetzt, die später als opportunistische oder Sekundärinfektionen von Aids bekannt wurden - und auch opportunistischen moralisierenden Angriffen. Ein Virus, das durch den intimsten zwischenmenschlichen Kontakt übertragen wurde - eine tödliche, sexuell übertragene Krankheit -, schien für viele Leute von Unheil zu künden und eine Strafe zu sein.
»Aids ist die Strafe Gottes«, predigte Reverend Jerry Falwell. »Wir spüren es an unserem eigenen Fleisch, wenn wir die Gesetze Gottes mit Füßen treten.« 65
»Die armen Homosexuellen«, gab sich Patrick Buchanan, Berater von Präsident Reagan, besorgt. »Sie haben der Natur den Krieg erklärt, und jetzt übt die Natur schreckliche Vergeltung.« 66
Ronald Goodwin, Leiter der mächtigen fundamental-christlichen Vereinigung Moral Majority, sagte: »Offenbar ist man fest entschlossen, unsere Steuergelder in eine Forschung zu stecken, die es diesen kranken Homosexuellen möglich macht, weiterhin ihr perverses Verhalten zu pflegen, ohne auch nur im Mindesten zur Rechenschaft gezogen zu werden.« 67
In Kalifornien wurden schwule Männer mit Beschimpfungen wie »Du kranker Aussätziger!« aus Läden und Restaurants verjagt.
Aber dann erkrankten ein paar Bluter an PCP und KS (Kaposi-Sarkom) und einige Drogensüchtige und noch weitere Haitianer.
Und so kam es, dass man einen neuen Begriff prägte: Aids - acquired immune deficiency syndrome, erworbenes Immunschwächesyndrom, da der Zustand erworben und nicht vererbt wurde, weil er das Immunsystem zerstörte und weil es ein Syndrom mit einer Reihe von Symptomen war und keine einzelne Krankheit.
1982 stellten die CDC eine Verbindung zwischen der Krankheit und Blut her. Man erklärte, dass männliche Homosexualität, intravenöser Drogenmissbrauch, eine haitianische Abstammung und Hämophilie zu den Risikofaktoren zählten.
Da von der Epidemie nur Randgruppen betroffen waren, kümmerte sich die republikanische Regierung der Vereinigten Staaten nicht weiter darum. Von Juni 1981 bis Mai 1982 wurden weniger als eine Million Dollar für die Untersuchung der ersten zweitausend Aids-Fälle aufgewendet, von denen bis dahin tausend tödlich verlaufen waren. Im selben Jahr gab man neun Millionen Dollar für die Legionärskrankheit aus, eine Form von Lungenentzündung, die 1976 eine Versammlung der American Legion, einer Veteranenorganisation der US-Armee, in Philadelphia heimgesucht hatte. 50 Menschen waren daran gestorben.
Dann starb im Dezember 1982 ein zwanzig Monate altes Kind, das mehrere Bluttransfusionen erhalten hatte, an Aids-Sekundärinfektionen. Dr. Harold Jaffe von CDC bezeichnete den Tod des Kindes als Wendepunkt: »Bis zu diesem Zeitpunkt galt es als eine reine Schwulenepidemie, und daher fiel es dem Durchschnittsbürger leicht zu sagen: ›Na und?‹«
Im Januar 1983 gab es erste Berichte über Aids bei Frauen, die nicht von Haiti stammten, keine Drogen nahmen und keine Bluttransfusionen erhalten hatten. Konnten Frauen sich durch den Geschlechtsverkehr mit einem Mann anstecken?
In Europa breitete sich HIV offenbar besonders unter zwei Gruppen aus. In Frankreich und Belgien wurde die Infektion bei Immigranten aus Zentralafrika festgestellt. In England, Westdeutschland und Dänemark befielen die Symptome schwule Männer, von denen der größte Teil erklärte, mit Amerikanern Sex gehabt zu haben.
In Südafrika wurde 1982 beim ersten Patienten Aids festgestellt, und dann trat die Epidemie in Uganda, an den Ufern des Viktoriasees, in Erscheinung. Ärzte und Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens aus Sambia und Zaire stellten das Auftreten einer neuen, aggressiven Form des Kaposi-Sarkoms bei Patienten fest, die noch nie Bluttransfusionen erhalten, keine Drogen gespritzt und keine homosexuellen Kontakte gehabt hatten, und erklärten, es gebe »einen deutlichen Hinweis auf eine heterosexuelle Übertragung.« 68 Ein Studie schloss mit dem Satz: »Afrikanische Patienten mit KS haben offenbar ein ganz ähnliches immunologisches und virologisches Profil wie amerikanische Patienten mit Aids.« 69
Nichtsdestoweniger galt Aids in der breiten Öffentlichkeit als eine Krankheit, die schwule weiße Männer befiel. Es wurde allgemein angenommen, dass der Ursprung der Krankheit in Amerika zu suchen
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