'Alle meine Kinder'
sei.
Im November 1983 bestätigte die Weltgesundheitsorganisation das Vorkommen von Aids in den Vereinigten Staaten und Kanada, Australien, 15 europäischen Staaten, sieben lateinamerikanischen, auf Haiti und in Zaire und zwei Verdachtsfälle in Japan. 70
Die Angst vor Aids und Aids-Überträgern begann zu grassieren. Die Presse sprach im Fall von Blutern von »unschuldigen Opfern« von Aids, während man bei Schwulen und Drogensüchtigen fand, sie hätten es sich selbst zuzuschreiben. Urlauber auf der Queen Elizabeth verließen das Schiff, als sie erfuhren, dass ein HIV-positiver Passagier an Bord war. Kirchgänger hatten beim Abendmahl Angst, aus demselben Kelch wie die anderen zu trinken.
Am 23. April 1984 gab Margaret Heckler, damalige Gesundheitsministerin der Vereinigten Staaten, auf einer Pressekonferenz bekannt, dass ein amerikanischer Wissenschaftler, Dr. Robert Gallo vom National Cancer Institute, die Ursache von Aids entdeckt hätte: ein Retrovirus, das er HTLV-III nannte (Human T-cell lymphotropic virus, Typ III). Ein Jahr zuvor hatte Luc Montagnier vom Pariser Institut Pasteur dasselbe Virus isoliert und LAV genannt (Lymphadenopathievirus). Jay Levy von der Universität von Kalifornien in San Francisco und eine Gruppe CDC-Forscher hatten dasselbe Virus im Visier.
Im März 1985 war klar, dass es sich bei LAV und HTLV-III um ein und dasselbe Virus handelte. Zwischen Gallo und Montaigner entbrannte ein heftiger Streit darüber, wer der eigentliche Entdecker des Virus war und damit auch die Patent- und Namensgebungsrechte für sich in Anspruch nehmen konnte, bis sich schließlich ihre jeweiligen Regierungen einschalteten und beiden gleichermaßen das Verdienst der Entdeckung zusprachen. Das Internationale Komitee zur Taxonomie von Viren entschied, dass das Virus human immunodeficiency virus, kurz: HIV, genannt werden sollte. Im Dezember 1985 reichte das Institut Pasteur Klage gegen das National Cancer Institute ein, um einen Anteil an den Lizenzen für den vom NCI patentierten Aids-Test zu fordern.
1985 wurde der dreizehn Jahre alte Ryan White, eines »der unschuldigen Opfer«, sprich ein Bluter, in den USA von der Schule verwiesen, nachdem er positiv auf das Virus getestet worden war. Im selben Jahr erschien ein erster Bericht über eine Mutter-Kind-Übertragung durch Muttermilch. In China wurde der erste Aids-Fall bestätigt, was bedeutete, dass die Epidemie mittlerweile jede Region auf der Welt erreicht hatte. Das amerikanische Filmidol Rock Hudson outete sich als schwul und gab bekannt, dass er Aids hatte. Er starb am 2. Oktober.
Ende des Jahres wusste man von weltweit 20 000 Fällen, davon fast 16 000 in den USA. 71
Die CDC strichen die Haitianer stillschweigend von der Liste der Aids-Risikogruppen.
Aids geisterte zwar seit 1981 durch die medizinische Fachliteratur und die öffentlichen Medien, aber Präsident Ronald Reagan sprach erst im Oktober 1987 das erste Mal in der Öffentlichkeit von der Krankheit; damals waren in den USA 59 572 Aids-Fälle registriert und 27 909 Menschen daran gestorben. 72
Der amerikanische Präsident hat sich zumindest ein Mal über einen Aids-Witz amüsiert. 1986 hatte sich zur Hundertjahrfeier der Aufstellung der Freiheitsstatue im New Yorker Hafen eine erlesene Gästeschar versammelt, zu der auch das Ehepaar Reagan und der französische Präsident François Mitterand und seine Frau gehörten. Bob Hope stand auf der Bühne. »Ich habe gerade erfahren, dass die Freiheitsstatue Aids hat«, sagte Hope, »aber sie weiß nicht, ob sie es von den Lippen des Hudson oder vom Staten-Island-Fährverkehr hat.« Fernsehbilder zeigen, dass die Reagans lachten, während die Mitterands indigniert dreinblickten.
Paul Monette, ein bekannter Sachbuchautor schrieb: »In West Hollywood kursierte die bissige Bemerkung, wenn Aids zuerst die Pfadfinder erwischt hätte und nicht die Schwulen - oder St. Louis statt Kinshasa -, dann hätte es dieselbe Aufmerksamkeit wie ein Atomkrieg erhalten.« 73
Als sich westliche Fachleute die »Slim Disease« genauer ansahen, die seit 1982 in Uganda festgestellt wurde, entdeckte man mehr Ähnlichkeiten mit Aids als Unterschiede. Sie berichteten, es gäbe Hinweise, »dass die Slim Disease anhand von extremem Gewichtsverlust und Diarrhö nicht von Aids und ARC (Aids-assoziierter Komplex) unterschieden werden kann. Daher ist die Magerkrankheit vielleicht kein neues Syndrom, sondern einfach identisch mit Aids, wie es in Afrika auftritt.«
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