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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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Aufforderung sofort mit einem breiten Lächeln.
    Meskerems Augen dagegen füllten sich mit Tränen. Das Wort amaye war allein Yeshi vorbehalten; sie würde es nie mehr aussprechen, es sei denn ihrer armen Mutter gegenüber.
    Endlich bekomme ich wieder Luft, dachte Haregewoin. Sie wurde wieder rundlich. Sie färbte ihre Haare, damit sie so schwarz wie früher glänzten, wie es zu einer Mutter von zwei kleinen Kindern passte. Sie besuchte die Schule in ihrem Viertel und stellte sich den Lehrern vor. Sie plauderte mit anderen Müttern auf der Straße. Sie kaufte hübsche Kleinigkeiten, Deckchen, Püppchen, damit das Haus fröhlicher aussah. Sie fing noch einmal ganz von vorn an.
    Wie jede stolze frischgebackene Mutter lud sie ihre Freunde ein. »Kommt und seht euch meine Kinder an!«
    Nervös und voller Angst davor, sich mit Aids anzustecken oder Haregewoin in einem allzu erbärmlichen Zustand vorzufinden, schlichen die alten Freunde und Kollegen zum Hoftor und spähten hinein. Welch trostloses Bild sie auch zu sehen erwartet hatten - vielleicht eine wehklagende, schwarz gekleidete Frau, umringt von völlig verwahrlosten Kindern -, es entsprach jedenfalls nicht dem, was sie tatsächlich vorfanden. Haregewoin war gesund und munter und legte gerade einen Gemüsegarten an, während Meskerem und Selamawit in der Einfahrt seilsprangen.
    »Seht ihr?«, rief Haregewoin lachend.
    Meskerem und Selamawit, wohlerzogene Mädchen, reichten Haregewoins Freunden zur Begrüßung höflich die Hand. Die meisten Frauen lachten nervös und schafften es irgendwie, den Hautkontakt mit den beiden zu vermeiden. Eine klatschte in die Hände, brach in Entzückensschreie über den Garten aus und drehte sich dann rasch weg; eine andere drückte ein Geschenk, eine Mango, in die ausgestreckte Hand. Keiner, der zum ersten Mal zu Besuch hierherkam, aß in diesem Haus auch nur einen Bissen von dem angebotenen Essen.
    »Sind sie krank?«, fragte einer geradeheraus.
    Haregewoin wusste, was der besorgte Besucher meinte: »Hast du keine Angst, dass sie dich anstecken könnten?«
    Die Frage ließ Haregewoin von diesem Moment an keine Ruhe mehr. Nicht etwa, weil sie Angst um sich selbst hatte! Sie hatte plötzlich Angst um die Kinder. Sie versuchte, die Frage zu vergessen, zu vergessen, dass sie überhaupt jemals gestellt worden war, aber es ging nicht. Dabei sahen sie überhaupt nicht krank aus.
    Das sagte sie sich immer wieder: dass die beiden doch gesund aussähen. Morgens sprangen sie aus dem Bett; sie löcherten sie mit Fragen - über irgendwelche Leute, über Vögel, über Hunde (ob sie vielleicht einen kleinen Hund haben könnten?); sie freuten sich darauf, in ihren neuen Schuluniformen in die Schule zu gehen.
    Haregewoin ging davon aus, dass ihre Mütter an Aids gestorben waren, auch wenn man das nicht genau wusste. Könnte das Virus genau in diesem Moment durch ihre Adern kriechen, während sie lachend in der Sonne saßen und mit Murmeln spielten?
    Und wenn sie tatsächlich infiziert waren... o Gott, dann wäre sie wirklich von allen guten Geistern verlassen, ihnen Liebe entgegenzubringen; sie hatte viel zu übereilt gehandelt, sich einer Gefahr ausgesetzt. Sie hätte auf ihre Freunde hören sollen, nicht aus den Gründen, die diese im Sinn hatten (sie glaubten, dass Aids-Waisen eine Gefahr für die eigene Gesundheit darstellten), sondern wenn Meskerem und Selamawit krank waren... nein, das könnte sie nicht noch einmal durchstehen.
    Sie hatte sich von den kleinen Mädchen um den kleinen Finger wickeln lassen; würden die beiden sie, ihre neue Mutter, die sich ihnen mit einem Lächeln ergeben hatte, zwingen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, mit denen sie sich nie wieder hatte auseinandersetzen wollen?
    Im Jahr 2000 gab es außerhalb des Schwarzmarktes keine Aids-Medikamente in Äthiopien. 78
    Wenn Meskerem und Selamawit im Äthiopien des Jahres 2000 mit HIV infiziert waren, würden sie an Aids sterben.

18
    Haregewoin erhielt einen Anruf vom Krankenhaus, dass sie die Ergebnisse der Bluttests der Kinder abholen könnte. Drei Monate waren vergangen, seit sie zu ihr gekommen waren. Als sie sich in die Schlange einreihte, die sich langsam auf einen überfüllten Warteraum und einen ebenso überfüllten Innenhof zubewegte, fand sie sich unversehens unter den wirklich Elenden dieser Welt wieder.
    Zu den archetypischen Erfahrungen eines Afrikaners in der heutigen Zeit gehört es, in einer Klinik auf das Ergebnis eines eigenen HIV-Tests oder des Tests

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