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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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wolle er ihr nicht das Gefühl geben, dass sie etwas richtig machte. Sie war überzeugt, dass das Baby sie nicht mochte. In ihrem Dorf hatten alle sie gemocht; sie hatte mit ihrem breiten Lächeln und ihrer freundlichen Art viele Freunde gewonnen und viel gelacht. Sie hatte nie jemanden so unglücklich gemacht wie dieses Baby. Sie beugte sich über das Kind und weinte bittere Tränen. Der vorzeitige Tod ihres Vaters hatte ihr Leben aus der Bahn geworfen. Jetzt schämte sie sich, dass sie von zu Hause weggegangen war, dass sie mit einem Mann geschlafen hatte, der ihr weisgemacht hatte, er würde sie heiraten. Sie war zu Tode beschämt, dass sie ein Baby, aber keinen Mann hatte, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte, damit es dem Baby besser ging. Sie glaubte, dass das zornige Baby namens Ababu dachte: Welches Pech habe ich doch, dass dieses unfähige Mädchen meine Mutter geworden ist statt einer netten, pummeligen, verheirateten Frau aus dem Dorf .
    Beschämt und hungrig suchte sie den Verschlag ihrer Großmutter auf - einer verschrobenen alten Frau, so dürr wie das Feuerholz, mit dem sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente. Die junge Frau legte Ababu auf die Strohmatte, die den Boden der nach einer Seite hin offenen Hütte ihrer Großmutter - kleiner als ein Buswartehäuschen - bedeckte, dann kniete sie sich hin und bat ihre Großmutter um die Erlaubnis, eine Stunde lang zum Fluss gehen zu können, um ihre Kleider zu waschen und zu baden. Sie beugte den Kopf, wissend, dass die Großmutter sie anfahren würde: »Wie konntest du uns das nur antun und dieses Balg hierherbringen? Warum bist du nicht im Dorf geblieben? Was ist in dich gefahren, dass du dachtest, du könntest in der Stadt ein besseres Leben führen? Jetzt siehst du, wo das geendet hat!« Die in Ungnade gefallene junge Frau kniete vor der alten Frau und wartete darauf, die kraftlosen Schläge der knochigen Fäuste auf ihren Schultern und ihrem Kopf zu spüren, und sie kamen tatsächlich. Sie begriff sie als Erlaubnis. Sie küsste Ababu auf seinen harten, kahlen Kopf und floh. Statt zum Fluss zu gehen und dann zurück zum Verschlag ihrer Großmutter, lief sie barfuß hinauf in die Hügel.
    Bei Einbruch der Dämmerung wusste die alte Frau, dass der magere Säugling, ihr Urenkel, bei ihr bleiben würde. Sie wusste auch, dass sie in diesem Fall ihren kärglichen Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen konnte. Zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche wanderte sie auf der Suche nach Feuerholz durch die steilen Hügel rings um die Stadt, dann kehrte sie fast kriechend mit einem riesigen Bündel Äste und Zweige, drei Mal so groß wie sie selbst, auf dem gebeugten Rücken zurück. Sie war ein menschlicher Packesel. Sie und ihresgleichen hatten die Stadt entwaldet; der Regierung gefiel das nicht, aber die Frau hätte nicht gewusst, was sie sonst arbeiten sollte. Und es war auch nicht so, als könnte eine Million Slumbewohner wählen, ob sie mit einem Holzfeuer kochten und heizten oder mit modernen Elektro- oder Gasöfen und -herden. Das Verschwinden der Wälder ließ mittlerweile den Regen ausbleiben, so dass der sowieso schon ausgelaugte Boden noch unfruchtbarer wurde.
    Die Kalorien, die die alte Frau dafür aufwendete, die täglichen fünf Birr zu verdienen, entsprachen kaum einem Teller gekochter Bohnen, mit denen sie abends ihren eingesunkenen Bauch auffüllte. Der Vorsprung, den das Leben hatte, war so klein, dass sie nur um ein paar wenige Kalorien dem Verhungern voraus war. Sie war nicht stark genug, um sich bei ihrer rastlosen Suche nach Feuerholz Ababu auf den Rücken zu binden, genauso wenig konnte sie ihn auf dem Arm tragen, wenn sie sich in der Dämmerung, beladen mit Ästen, zurück in die Stadt schleppte. Daher nahm sie den Platz der jungen Frau in den Straßen ein und bettelte, den ausgemergelten Ababu in einem Tuch auf dem Rücken gebunden. Sie hatte nicht das glatte, hübsche Gesicht ihrer Enkelin, um einen Touristen oder Geschäftsmann zu einer milden Gabe zu verführen (oder gar zu einem intimeren Kontakt). Sie war eine erschöpfte alte Frau. Sie hatte die Welt um nichts als um ein paar Bissen am Abend gebeten; und nun hatte man ihr auch noch diese neue Last aufgebürdet.
    Ababu, mittlerweile um die achtzehn Monate alt, klagte und wimmerte nicht mehr, er erwartete nichts mehr. Er blickte seiner Urgroßmutter mit riesigen, verängstigten Augen aus einem eingesunkenen Gesicht über die Schulter, wenn sie ihn auf dem Rücken trug. Er

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