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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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seine Eltern gestorben sind , niemand das Kind haben will, dachte Haregewoin.
    »Gut, dann bringen wir es hier zum kebele «, sagte der Mann. »Die werden mehr tun als bei uns.«
    »Um Gottes willen«, sagte Haregewoin. »das kebele wird es mir schicken.«
    »Ja«, sagte der Mann, »das haben wir uns schon gedacht.«
    Haregewoin nahm Ruhima auf.
     
    »Können wir bei Ihnen wohnen?«, fragte ein Chor heller Stimmen, als Haregewoin ihr Hoftor öffnete. Sie hatte sich abgewöhnt, es schwungvoll aufzumachen, um nicht von einer Horde Kinder aus dem Viertel über den Haufen gerannt zu werden. Sie öffnete es einen Spaltbreit und hielt es fest. Sicher meinten sie das nicht alle so - ein paar von ihnen mussten doch noch Eltern haben -, aber einigen war es durchaus ernst damit.
    »Nein, ich habe keinen Platz mehr, tut mir leid.«
    »Bitte, waizero , bitte! Bitte!«
    »Bitte geben Sie mir was zu essen!«, sagte ein Kind, und dann fielen die anderen ein. »Wir haben Hunger, Madam!«
    Wenn sie schalt: »Geht zum Essen nach Hause zu euren Eltern!«, tat es ihr gleich darauf leid, denn im Chor kam zurück: »Sie sind tot, waizero ! Mein Vater und meine Mutter sind gestorben, Madam!«
    Sie schickte Dutzende Kinder jeden Morgen in die Schule, die Kosten für den Schulbesuch und die Schuluniformen hatten Suzie und ihre alten Freundinnen übernommen; wenn sie nachmittags zurückkamen, mischten sich andere Kinder unter sie und versuchten, unbemerkt durch das Tor zu schlüpfen. Sie stand am Eingang Wache, versperrte den Kindern aus dem Viertel den Weg, während sie ihre Kinder unter ihrem Arm hindurch nach drinnen schob.
    Manchmal gab ihr der Bäcker ein paar Tüten mit Brötchen vom Vortag, die sie unter den Kindern aus dem Viertel verteilte. Sie plauderte gern mit ihnen, wenn es nicht gerade in einem Tumult endete. Eines Tages, als sie sich von ihnen verabschiedete und gehen wollte, wäre sie beinahe gestolpert und hingefallen. »Mutter, bitte. Mutter! Mutter!«, riefen die Kinder, hängten und klammerten sich an sie, wo immer sie sie zu fassen bekamen, küssten ihr die Hände, strichen ihr über die Arme, warfen sich vor ihr auf den Boden, um ihr die Füße zu küssen. »Ich bin ein sehr guter Junge, Mutter!«, rief ein großer Junge, und sie sah einen kleineren Jungen, der die Augen schloss und die Arme in die Höhe streckte, in der Hoffnung, dass sie ihn mitnehmen würde.
    »Ich kann nicht, ich kann nicht«, sagte sie und wich zurück, löste sich von ihnen und wischte sich wütend mit dem Ärmel ihres Pullovers die Tränen von den Wangen.
    »Madam!«, rief ein kleines Mädchen. Es war das kleine Mädchen in dem rosafarbenen Rüschenkleid, das ich in der Gasse gesehen hatte; ihr hübsches Kleid war mittlerweile schmutzig und zerrissen; sie war nicht mehr stolz darauf. Sie eilte zu Haregewoin, wollte ihr einen Abschiedskuss geben. Haregewoin zögerte, dann beugte sie sich zu ihr hinunter. Das Kind schmiegte sein Gesicht an Haregewoins Wange und verharrte so, mit geschlossenen Augen, atmete tief ein, und dann bestand es darauf, Haregewoin auch noch auf die andere Wange einen Kuss zu geben, was es mit großem Ernst tat und danach wieder eine Weile still verharrte. Sie bat nicht darum, mitgenommen zu werden - sie schien zu begreifen, dass sie Haregewoin nicht als Mutter für sich selbst haben konnte -, sie bat immer nur darum, die Mutter küssen zu dürfen.

28
    Es gab ein Problem mit Mintesinot, dem kleinen lockenköpfigen Prinzen vom Bürgersteig. Er hortete Essen. Seine Bettgenossen beschwerten sich, es würde riechen und das Bett sei voller Zeug und die Ameisen kämen. Haregewoin beobachtete ihn beim Abendessen; tatsächlich, er steckte ein paar Bissen in den Mund, und der Rest wanderte in seinen Schoß. Später schmuggelte er es in den mit Metallbetten vollgestellten Schlafraum. Als sie sein Bett inspizierte, fand sie vergammelte Stücke injera , die wie Pappe aussahen, steinharte Brocken von einem Fleischeintopf vom vergangenen Monat, ein uraltes Hühnerbein, mehrere Kronkorken und einen schleimigen Klumpen Spaghetti, und das alles überzogen von einer Schicht Schimmel.
    »Mintesinot! Na !«
    » Abet ? Was ist?« Er kam angerannt.
    »Minty, nein«, sagte sie und deutete auf den Komposthaufen.
    »Für meinen Papa!«, rief er.
    »Aber das ist alles schlecht, wir können es nicht hierlassen, dein Papa will es bestimmt nicht.«
    Sie begann das Bett abzuziehen.
    »Doch, will er, doch!«, schrie er und zerrte auf der anderen Seite an

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