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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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dem Laken, um seinen Vorrat an verrottetem Essen und seine sonstigen Schätze zu retten.
    »Minty, bitte.«
    »Für meinen Papa, für meinen Papa, fürmeinenpapa !«, brüllte er in allergrößter Verzweiflung, hochrot im Gesicht und blind um sich schlagend.
    Sie ließ sich nicht davon beirren und beseitigte die Schweinerei - die Matratze hatte auch schon Flecken; sie brachte die schmutzige Bettwäsche hinaus auf den Hof, und als sie zurückkam, lag er rücklings auf dem Boden, warf den Kopf von einer Seite auf die andere, trat um sich und schrie: » Abi ! Papa!«
    »Mintesinot! Mintesinot. Hör mir zu«, sagte sie und setzte sich aufs Bett. »Mintesinot, willst du deinen Vater besuchen?«
    »Ja!«, schniefte er. »Ja! Ja! Heute!«
    »Ich rufe die nette Frau an, die ihn kennt. Ich erkundige mich, wann es geht.«
    Er stand auf und kam zu ihr, legte ihr die Hände auf die Knie. »Heute!«
    »Heute ist es zu spät. Es ist Zeit zum Schlafen.«
    »Morgen?«
    »Vielleicht.«
    »Bringt mich Selamneh hin?«
    »Ich werde Selamneh fragen. Ishi ? In Ordnung?«
    » Ishi .«
    Am nächsten Tag rief Haregewoin Gerrida an, Eskenders Nachbarin.
    »Ich wollte dich auch schon anrufen, Haregewoin«, sagte Gerrida. »Eskender ist vergangene Woche gestorben.«
     
    2004, als Mintesinots Mutter Emebate starb und sein Vater Eskender krank wurde, waren zwei von 26 Millionen Männern, Frauen und Kindern in Schwarzafrika mit HIV/Aids infiziert. 80 Vielleicht vier Prozent davon hatten Zugang zu den lebensrettenden antiretroviralen Medikamenten (ARVs), die HIV/Aids von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit machen und das Ansteckungsrisiko durch infizierte Personen verringern.
    2004 erreichten eine Viertelmillion HIV-positiver Äthiopier die kritische Phase der Krankheit, in der eine Behandlung mit ARVs notwendig ist, um raschen Verfall und Tod zu verhindern. Nur vier Prozent - 10 000 Menschen - hatten Zugang zu den Medikamenten, die das Leben von Patienten in reichen Ländern retten.
     
    Wo waren die Medikamente?
    Das erste ARV wurde 1987 in den Vereinigten Staaten zugelassen. Es war Zidovudin, allgemein unter der Bezeichnung AZT bekannt. 81
    Das AZT-Molekül war 1964 - als potenzielles Mittel gegen Krebs - von Jerome P. Horwitz, Chemieprofessor an der Wayne State University in Detroit, in Zusammenarbeit mit der Michigan Cancer Foundation synthetisiert worden. Es erwies sich als wirkungslos gegen Krebs. In den 1980er-Jahren stellten Wissenschaftler von der Duke University in Laborversuchen und ersten klinischen Tests fest, dass AZT in der Lage war, den Verlauf von HIV zu verlangsamen.
    Der Pharmakonzern Burroughs Wellcome (später Glaxo Wellcome) hatte die Rechte an diesem interessanten Molekül erworben, bevor sich seine Wirksamkeit gegen HIV bestätigte. (Es gibt zwei Arten von Arzneimittelkonzernen: forschungsorientierte oder »innovative« Unternehmen, die eigene Forschung betreiben und neue Medikamente entwickeln und patentieren lassen und Generika-Hersteller, welche die Versionen bereits auf dem Markt befindlicher Medikamente produzieren und vertreiben.) Burroughs Wellcome, ein Privatunternehmen, beantragte Patentschutz als alleiniger Entwickler von AZT, und er wurde durch das US-Patentamt erteilt. Als sich herausstellte, dass AZT effektiv das Voranschreiten der HIV-Infektion verlangsamte, war klar, dass Burroughs Wellcome das große Los gezogen hatte.
    Im Besitz der Rechte zum Alleinvertrieb des ersten und einzigen antiretroviralen Medikaments (in einem Jahr, in dem mehr als 4000 Amerikaner an Aids sterben sollten) brachte Burroughs Wellcome AZT unter der gesetzlich geschützten Bezeichnung (dem Markennamen) Retrovir auf den Markt und setzte die Kosten pro Patient und Jahr auf 10 000 Dollar fest.
    Als Burroughs Wellcome nicht auf die öffentlichen Proteste gegen den hohen Preis von AZT (16 000 Dollar jährlich nach dem Dollarwert von 2005) reagierte, reichten Verbraucherverbände und Generika-Hersteller im Jahr 1991 Klage ein, in der Hoffnung, den Arzneimittelhersteller zu einer Übertragung der Verwertungsrechte zwingen zu können. Wenn das Privatunternehmen sein Monopol verlor, dann konnten Generika wesentlich billiger hergestellt und vertrieben werden. Generisches AZT wurde in Kanada und einigen wenigen anderen Ländern vertrieben, für die das Patent von Burroughs Wellcome nicht galt. (Manche Regierungen hielten nichts davon, lebenswichtige Arzneimittel zu patentieren.) In den ersten Jahrzehnten der Aids-Pandemie stand die

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