'Alle meine Kinder'
mitgehen will, kann sie gehen. Ansonsten bleibt sie da, wohin sie der Sohn ihrer Mutter gebracht hat. Haben Sie eine Beschwerde gegen die Pflegemutter vorzubringen? Nein? Dann hören Sie auf, Ihre Tochter zu verfolgen.« Er zwang Ahmed, ein Dokument zu unterschreiben, mit dem er Haregewoin das Sorgerecht übertrug.
An Meskerems Geburtstag erschien bei Haregewoin Ahmeds junge Frau mit einem frischgebackenen Brot als Geschenk. »Was soll das?«, fuhr Meskerem sie an. »Sieht du nicht, dass meine Mutter eine Party für mich gibt?«
Ich hätte nie damit gerechnet, sie einmal so reden zu hören!, dachte Haregewoin erneut.
Als die Stiefmutter das Brot ablegte, konnten alle sehen, dass sie schwanger war.
»Aha!«, schrie Meskerem und deutete auf sie. »Deshalb wollt ihr mich.«
Meskerem blieb, hatte aber immer Angst, man könnte sie von Haregewoin wegholen. Haregewoin machte sich ihrerseits Sorgen, allerdings anderer Art. Meskerem war ein wunderbares, kluges Mädchen. Welche Zukunft erwartete sie? In diesem Land waren Mädchen und Frauen zu einem rückständigen Leben verurteilt. In vielen Familien wurden Mädchen beschnitten; Mädchen wurde eine Ausbildung verweigert, und sie wurden bereits im Kindesalter verheiratet. Ihre mangelnde Bildung, ihre Armut, die ständigen Schwangerschaften, ihr früher Tod brachte großes Leid mit sich. Haregewoin empfand Mitleid mit der jungen Frau von Ahmed, die jetzt tatsächlich keine Hilfe haben würde, die selbst fast noch ein Mädchen war, die allein ihre Kinder großziehen und den Haushalt führen und den größten Teil des Geldes verdienen würde und dabei nicht einmal auf die Hilfe eines achtjährigen Mädchens zählen konnte.
Und Haregewoin haderte mit sich selbst, weil sie nicht mehr für Meskerem getan hatte, das Kind, das wie eine dritte Tochter für sie war. Wenn ich mit ihr aufgehört hätte, wenn ich nur Meskerem und Selamawit aufgenommen hätte, dann hätte ich sie wie Suzie und Atetegeb großziehen können, dachte sie. Aber was habe ich ihnen stattdessen angetan. Die Mädchen waren zwar fröhlich, aber sie liefen zerlumpt herum und gingen nicht in die Schule.
Ich habe sie von der Straße aufgelesen, aber wozu?, dachte Haregewoin ärgerlich. Halt, halt, halt, halt. Keine weiteren Kinder mehr.
»O nein, bitte nicht«, stöhnte Haregewoin und wollte dem alten Ehepaar vom Land, das mit einem kleinen Mädchen vor ihr stand, schon die Tür vor der Nase zuschlagen, um ihren in der Nacht zuvor gefassten Vorsätzen treu zu bleiben.
»Ich kann keines mehr aufnehmen. Wirklich, es geht nicht«, sagte Haregewoin in flehendem Ton und vermied es geflissentlich, das Kind anzusehen.
»Sie ist nicht unser Kind«, erwiderten sie in ihrem schweren Dialekt.
»Sondern?«
»Ihre Familie wohnte in einer kojo , einer Strohhütte, auf unserem Land«, sagte die Frau. »Soweit ich weiß, ist ihr Vater voriges Jahr gestorben, aber ich bin nicht ganz sicher, und die Mutter ist letzte Woche gestorben. Wir haben ihr etwas zu essen gegeben, aber sie kann nicht allein bleiben, und wir haben keinen Platz für sie. Unsere eigenen Töchter sind daran gestorben, und wir müssen uns um unsere Enkel kümmern. Aber sie« - sie deutete auf das Mädchen - »steht immer wieder vor unserer Tür. Kaum, dass wir sie zurück nach Hause gebracht haben, ist sie wieder da.«
Während sie widerstrebend zuhörte, griff Haregewoin geistesabwesend in ihre Schürzentasche und holte ein Brötchen hervor. Sie gab es dem schmutzigen kleinen Mädchen, das es nahm, sich auf den Boden setzte und zu kauen begann. Sie war ungefähr vier Jahre alt. Sie glaubten, dass sie Ruhima hieß.
»Gibt es denn keine Großeltern?«
»Kann schon sein, aber wir wissen nichts über die Leute.«
»Hast du eine Großmutter, Ruhima?«, fragte Haregewoin.
» Ow « - ja -, sagte sie mit vollem Mund.
»Wie heißt sie?«
Das Mädchen blickte kurz auf, dachte nach und sagte: » Ayatie «, Oma.
Die Erwachsenen sahen sich an und mussten unwillkürlich lächeln.
»Hören Sie«, sagte Haregewoin. »Ich habe wirklich keinen Platz für sie. Ich weiß nicht, wo sie schlafen soll.«
Das Paar blickte zu Boden, zu beschämt, um ihr in die Augen zu sehen. Der Mann kaute auf der Innenseite seiner Wange herum. Sie waren mager und zerlumpt.
»Haben Sie versucht, die Großeltern zu finden?«, fragte Haregewoin.
»Wir haben überall herumgefragt«, sagte die Frau. »Niemand kennt das Kind.«
Nein, die Wahrheit ist, dass wegen der Krankheit, an der
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