'Alle meine Kinder'
Lazarus-Effekt zu sprechen, benannt nach dem von den Toten auferstandenen Lazarus im Neuen Testament.
Aber wie die Zeitschrift Lancet berichtete, wiederholte sich die Vorgehensweise bei der Preisgestaltung von AZT bei nahezu allen antiretroviralen Medikamenten, »oftmals in mit öffentlichen Mitteln finanzierten Labors und klinischen Kurzzeit-Tests entdeckt, weiterentwickelt und dann zu einem hohen Preis vermarktet. Öffentliche Forschungseinrichtungen haben die Entwicklung antiretroviraler Medikamente in erheblichem Maße finanziell unterstützt - unter anderem Didanosin, Abacavir, Stavudin, Zalcitabin und allgemein das Konzept der Protease-Hemmer […], aber die Rechte zur kommerziellen Verwertung wurden exklusiv an Privatunternehmen vergeben.
Die Erklärung, die von der Branche zur Rechtfertigung der hohen Preise üblicherweise angeführt wird - dass es sich bei der Forschung und Entwicklung um langwierige und kostenintensive Prozesse handelt -, ist daher in diesem Fall besonders dürftig. Es gibt keine plausible Erklärung dafür, warum Unternehmen so viel für die Mittel verlangen, abgesehen davon, dass sie zunächst in den Vereinigten Staaten auf den Markt kamen, einem reichen Land ohne Preisüberwachung. Zum Unglück für die meisten der [im Jahr 2000] weltweit 34 Millionen mit HIV infizierten Menschen zwingen die Pharmakonzerne dem Rest der Welt amerikanische Preise auf.« 85
All das galt nicht nur für Medikamente gegen Aids. Die im Jahr 1995 fünf meistverkauften Arzneimittel (Zantac, Zovirax, Capoten, Vasotec und Prozac) waren das Ergebnis von siebzehn wissenschaftlichen Forschungsarbeiten, und laut NIH wurden sechzehn dieser siebzehn Forschungsarbeiten nicht von der Pharmaindustrie durchgeführt. 86 Der Boston Globe berichtete, dass von den fünfzig meistverkauften Medikamenten, die zwischen 1992 und 1997 zugelassen wurden, fünfundvierzig mit staatlicher finanzieller Unterstützung entwickelt worden waren. 1998 berichtete die Zeitschrift Health Affairs , dass nur 15 Prozent der wissenschaftlichen Beiträge zur Unterstützung von Patentanmeldungen für klinische Arzneimittel aus den Forschungslabors der Pharmaindustrie kamen, 54 Prozent stammten von Universitäten, 13 Prozent aus staatlichen Labors und der Rest aus anderen öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen. 87 Einer Schätzung des Forbes -Magazins zufolge überstieg im Jahr 2000 der Umsatz der zehn größten amerikanischen Arzneimittelhersteller bei einer Investition von 21 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung die Herstellungskosten immer noch um 100 Milliarden Dollar. 88 »Es steht außer Frage«, schreibt Dr. Marcia Angell, ehemalige Chefredakteurin des New England Journal of Medicine , »dass die meisten neuen Medikamente aus der mit öffentlichen Mitteln - und nicht von der Pharmaindustrie - finanzierten medizinischen Forschung stammen. Das gilt ganz besonders für Mittel gegen Krebs und HIV/Aids.« 89
Die Pharmaindustrie hat wiederholt behauptet, hohe Arzneimittelkosten seien zum Ausgleich vorheriger Investitionen in die Forschung und zur Finanzierung zukünftiger Innovationen notwendig, obwohl ihr von Kritikern entgegengehalten wird, dass die Forschungskosten gegenüber denen für Werbung und PR kaum ins Gewicht fallen. »2001 haben Pharmaunternehmen an Ärzte ›kostenlose Medikamentenmuster‹ im Wert von fast elf Milliarden Dollar verteilt«, schreibt Angell. »Diese Medikamente waren natürlich nicht wirklich kostenlos. Die Kosten wurden einfach nur auf den Preis der Arzneimittel aufgeschlagen (die Firmen sind schließlich keine Wohltätigkeitseinrichtungen). Im gleichen Jahr schickten die Pharmakonzerne an die 88 000 Vertreter in die Arztpraxen, um solche kostenlosen Muster zu verteilen, neben jeder Menge Geschenke.« 90 Im Jahr 2001 gab der Arzneimittelhersteller Pharmacia 44 Prozent seiner Einnahmen für Marketing, Werbung und Verwaltung aus und nur 16 Prozent für Forschung und Entwicklung. 91 Die Budgets von Pharmaunternehmen sind alles andere als durchsichtig, Beobachter der Branche können also allenfalls Vermutungen darüber anstellen, wo das Geld bleibt. »GlaxoSmithKline und sein Vertriebspartner Bayer haben mit der National Football League einen Werbevertrag für ihr Mittel Levitra unterzeichnet, um Viagra auf dem riesigen Markt der ›Erektionsstörung‹ Konkurrenz zu machen«, schreibt Angell. »Wie es heißt, lassen sich die Unternehmen diese Vereinbarung 20 Millionen Dollar kosten. Zusätzlich zum
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