'Alle meine Kinder'
Baum riss.
Keiner beriet sie bei der Aufstellung des Speiseplans. Irgendjemand hatte ihr erzählt, dass HIV-positive Kinder grünes Gemüse essen sollten, also legte sie sich einen Vorrat an Konserven mit Erbsen zu und löffelte sie den Kindern, die am kränksten zu sein schienen, über den Reis.
Niemand bot Haregewoin Unterstützung bei der Wahl des Personals. Niemand überprüfte die Fingerabdrücke oder das Vorstrafenregister von Bewerbern um Stellen, die mit ein paar Cent am Tag entlohnt wurden. Es kam ihr nie in den Sinn, dass Kinder, die es geschafft hatten, sich bei ihr in Sicherheit zu bringen, noch in irgendeiner Weise verletzbar sein könnten.
Die Regierung gab Haregewoin Teferra nur eines: die Genehmigung, Pflegekinder aufzunehmen. Die gaben sie ihr umsonst.
Im Grunde machte Haregewoin Teferra also so weiter, wie sie begonnen hatte: Sie war eine nette Frau aus der Nachbarschaft.
Beflügelt von der Wendung, die ihr Leben genommen hatte, wieder mit einem Ziel vor Augen, bat sie den Wächter, den Namen Atetegeb Worku Metasebia Welage Aleba Histanet Merj Mahber mit weißer Farbe auf ein Stück Blech zu malen. Da er nicht schreiben konnte, übernahm einer der größeren Jungen im Haus diese Aufgabe für ihn. Anschließend bat Haregewoin den Wächter, das Schild draußen neben dem Tor aufzuhängen.
Er warnte sie. »Das macht es den Leuten leichter, Sie zu finden.«
»Wenn die Kinder nicht zu mir kommen«, gab sie schroff zurück, »wo, in Gottes Namen, landen sie denn dann?«
Bamlak, Junge, vier Jahre, Vater verstorben, Mutter tot. Aus Harar.
Miret, Mädchen, zwanzig Monate. Vater verstorben, Mutter krank. Aus Harar.
Edlawit, drei Jahre, Mädchen. Vater verstorben, Mutter verstorben. Harar.
Roto, ein Jahr, Mutter verstorben, niemand will ihn aufnehmen. Harar.
Einige Leute begannen sich jedoch wie der Wächter besorgt zu fragen, ob sich ihre alte Freundin nicht zu viel zumutete.
Nachts betete Haregewoin zu Gott und bat ihn um Essen.
Manchmal wurden ihre Gebete erhört. Ein Bauer machte auf dem Weg in die Stadt mit seinem klapprigen Lastwagen einen Umweg und ließ einen Sack Kartoffeln oder Getreide oder Eier da. Auf dem Markt bot ihr ein Händler, der von ihrem Heim wusste, Obst mit Druckstellen oder schon etwas welkes Gemüse zu einem sehr viel niedrigeren Preis an. Eine beliebte Sängerin aus dem Viertel teilte Haregewoin mit, dass sie den Lohn (18 Dollar im Monat) für ein paar junge Frauen aus dem Viertel übernehmen würde, die als Pflegerinnen bei ihr arbeiteten. Suzie teilte treu ihr Gehalt mit ihrer Mutter, und Haregewoins alte Freundinnen steckten ihr hin und wieder einen gefalteten Schein zu, den sie vom Haushaltsgeld abgeknappst hatten. Bei jedem dieser Geschenke schloss Haregewoin die Augen, streckte die Hände aus und sagte: »Danke, Gott.«
Sie verkaufte alles, was keinen praktischen Nutzen hatte, darunter fast ihre gesamte Kleidung. Jedes Schmuckstück, jedes Buch, jedes Armband, jede Schallplatte brachte sie fort. Von dem Geld kaufte sie Bohnen. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, wenn sie - in einem verzinkten Bottich im Hof bis zu den Knöcheln in der Lauge auf kleinen Hemden und Unterhosen und Socken herumstampfend - daran dachte, dass sie und Worku einmal eine Waschmaschine besessen hatten.
Ihre Sparmaßnahmen reichten nicht aus. Sie und die Kinder lebten von Kohl, Linsen und dünnem Tee. Abends, wenn die Kinder über Bauchweh klagten, schickte sie sie ins Bett, manchmal in einem barschen oder ärgerlichen Ton, der ihr später leidtat.
Mit geballten Fäusten und voller Zorn begann Haregewoin nachts mit sich selbst zu schimpfen. Keine Kinder mehr . Sie schlug sich auf den Schenkel, um dem Vorsatz Nachdruck zu verleihen. Du kannst kein weiteres Kind mehr aufnehmen. Wir werden alle verhungern, wenn du weiter jedem die Tür aufmachst . Sie betete darum, dass sie ihren Auftrag nicht falsch verstanden hatte. Sie versuchte, die Kinder anderswo unterzubringen, ihnen ein Zuhause zu geben, aber sie gelangte zu derselben Feststellung wie einst der Leiter von MMM, als er flehentlich zu ihr gesagt hatte: » Waizero Haregewoin, es gibt sonst niemanden.« Gut, es gab ein paar Heime, aber die waren wie ihres allesamt überfüllt.
Haregewoin und Worku hatten früher zwei Autos besessen, ein schönes Haus mit Badezimmer, Gasherd, Telefon und Fernseher. Jetzt begann sie zu befürchten, dass sie zu schnell zu tief gesunken war, sich selbst in Schwierigkeiten gebracht und
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