'Alle meine Kinder'
K. Hamied, Chef der indischen Arzneimittelfirma Cipla (1935 von seinem Vater gegründet), bekannt, dass seine Firma bereit sei, Medikamente gegen Aids für einen Bruchteil des aktuellen Preises zu verkaufen. TRIPS enthielt eine Klausel über verlängerte Fristen zur Umsetzung für arme Länder, und Indien machte sich dieses Schlupfloch zunutze, um auf legale Weise medizinische Patente zu ignorieren. Die Markenmedikamente kosteten zu diesem Zeitpunkt pro Patient und Jahr 12 000 Dollar; auf einer Sitzung der Europäischen Kommission in Brüssel verkündete Hamied, dass Cipla HAART für 800 Dollar pro Patient und Jahr anbieten würde. 122
Im darauffolgenden Jahr senkte die Firma diesen Preis erneut, dieses Mal auf 300 Dollar pro Patient und Jahr.
»Wir sind ein kommerzielles Unternehmen«, erklärte Hamied. »Aber ich vertreibe in Indien 400 Produkte. Wenn ich mit einem halben Dutzend davon keinen Gewinn mache, ist das nicht weiter schlimm. Ich verdiene kein Geld mit den Krebsmedikamenten, die wir vertreiben, und auch nicht mit den Medikamenten gegen Thalassemia, eine Blutkrankheit, die in Indien weit verbreitet ist. Wir verkaufen diese Medikamente praktisch zum Herstellungspreis, weil ich keinen Profit aus Krankheiten schlagen will, die das gesamte Gesellschaftsgefüge zusammenbrechen lassen können.« 123
Einige meinten, hinter diesen Worten Dr. Jonas Salk zu erkennen, den Erfinder des Impfstoffs gegen Kinderlähmung. Er hatte diesen Impfstoff niemals patentieren lassen und machte deshalb auch nie Milliarden damit. Als man ihn nach dem Grund fragte, antwortete er: »Für so etwas gibt es kein Patent. Könnten Sie sich die Sonne patentieren lassen?« 124
Dr. Mark Rosenberg von der Task Force für Child Survival mit Sitz in Atlanta, sagt im September 2001 im Gespräch mit der Autorin: »Ohne Frage ist es den wohlhabenden Nationen inzwischen möglich, eine langfristige, kostengünstige und hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen, mit denen nicht nur die Waisen in Äthiopien am Leben erhalten werden können, sondern auch deren Eltern. Das ist kein schwieriges Unterfangen. Um das Gleiche für den Rest von Afrika zu tun, bedarf es einer gewissen Anstrengung, und einer etwas größeren Anstrengung, was Indien und China angeht. Eine Anstrengung, ja. Aber ist es unmöglich? Ganz und gar nicht.
Meine Kollegen vergleichen Aids in Afrika mit dem Holocaust. Sie stellen sich vor, dass wir von zukünftigen Generationen gefragt werden: ›Was habt ihr damals getan?‹«
Auch Brasilien machte sich die genannte TRIPS-Klausel zunutze, um eine einheimische Produktion von Generika in Gang zu setzen. Die brasilianische Regierung versprach allen Bürgern generische ARVs, und zwar kostenlos, und sie konnte seither die Behauptung widerlegen, dass arme Länder ohne hoch entwickelte Gesundheitsinfrastruktur keinen Zugang zu einer komplexen medikamentösen Aids-Behandlung bieten können.
Tatsächlich war die generische Version der Dreifachkombinationstherapie in der Einnahme sogar einfacher: Nur die Hersteller von Generika waren in der Lage, eine »fertige Dosis« anzubieten. Da jeder der drei Bestandteile der Kombinationstherapie patentiert war und von einem anderen Privatunternehmen vertrieben wurde, gab es in der Welt der Markenprodukte keine fertig dosierte Pille.
Sowohl die brasilianischen als auch die indischen Generika-Hersteller gaben ihre Bereitschaft zu erkennen, die billigen generischen Versionen des Medikaments in arme Länder zu exportieren.
Der schlimmste Alptraum wurde wahr: Generika, die den Markt erobern. Als Reaktion darauf senkten die multinationalen Pharmakonzerne ihre Preise (mit viel Publicity), stellten bestimmten Staaten über einen bestimmten Zeitraum bestimmte Medikamente kostenlos zur Verfügung (mit entsprechender Berichterstattung in der Presse), gestatteten, dass an bestimmten Produktionsstätten Generika einzelner Markenprodukte hergestellt wurden (noch mehr Presseberichte), und schenkten einigen afrikanischen Ländern schöne Krankenhäuser und Gebäude mit ihren Namen darauf.
Im Mai 2000 starteten fünf der großen Arzneimittelhersteller die Accelerating Access Initiative (AA) mit dem Versprechen, in armen Ländern Markenprodukte zu wesentlich niedrigeren Preisen anzubieten. Ihre PR-Abteilungen sorgten natürlich dafür, dass die Welt von ihrer Großzügigkeit erfuhr. 125
»Es sind kaum konkrete Auswirkungen davon in Afrika festzustellen«, schrieb Time jedoch im darauffolgenden
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