'Alle meine Kinder'
Jahr. »Jedes Land muss den Preis für jeden Bestandteil des Aids-Cocktails mit dem jeweiligen Unternehmen aushandeln, und die zähen Verhandlungen haben gerade erst begonnen. Auch wenn beispielsweise im Senegal die Preise um 75 oder 80 Prozent sinken, ist die Therapie mit 1200 Dollar im Jahr für Leute, die jährlich 510 Dollar verdienen, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Senegal, immer noch zu teuer.«
Die menschenfreundlichen Preissenkungen, die von den Arzneimittelherstellern angeboten wurden, »haben grundsätzlich irgendwelche Haken«, berichtete ACT UP Paris im Jahr 2002, und sie ermöglichen es den Unternehmen, gleichzeitig die Lieferung von antiretroviralen Medikamenten zu kontrollieren und die Konkurrenz durch Generika-Hersteller in Schach zu halten.
»Optimistischen Schätzungen zufolge«, berichtete ACT UP Paris, »hat Accelerating Access in einem Zeitraum von zwei Jahren lediglich bewirkt, dass 0,1 Prozent Aids-Kranke mehr behandelt werden [...]. Darüber hinaus sind viele dieser Behandlungen gefährlich - wie die Therapie mit einem einzigen Medikament, die von der Medizin im Norden seit zehn Jahren nicht mehr angewandt wird.«
ACT UP Paris schrieb weiter: »Von wirtschaftlich spürbaren, pauschalen Preisnachlässen weit entfernt, sind die Preissenkungen im Rahmen von Accelerating Access wohltätige Aktionen, bei denen es um die Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen jedem Unternehmen und dem Gesundheitsministerium geht, um komplizierte Bedingungen festzulegen, unter denen die Nachlässe tatsächlich gewährt werden. Für gewöhnlich verlangen die Unternehmen von den Regierungen, diese Vereinbarungen strikt geheim zu halten, bis zu dem Punkt, dass sie sämtliche Medienkontakte dem Unternehmen überlassen müssen.
Außerdem versäumt es AA, spürbare Preissenkungen für die Medikamente durchzuführen, für die es bislang noch keine Generika gibt. Beispielsweise verkauft der Schweizer Pharmagigant Roche dank Accelerating Access weiterhin seinen führenden Protease-Hemmer Viracept zu dem exorbitanten Preis von 3139 Dollar pro Jahr.«
Wenn überhaupt, wurden Aids-Kranke von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Ärzte ohne Grenzen gerettet - die sich um den Import von Generika kümmern -, während die Accelerating Access Initiative den Regierungen der Betroffenen Knebel und Fesseln anlegte.
Die Geschichte wird mit den Pharmariesen und mit den Politikern und Leitern internationaler Organisationen, die sie unterstützt haben, vermutlich nicht besonders freundlich umspringen. Einige Aktivisten würden zu gern sehen, wie die Führungsriege aus der Pharmabranche - und hohe Politiker und Behördenleiter, die mit ihr unter einer Decke stecken - wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Anklage gestellt werden.
Im Jahr 2003 klagte TAC den Gesundheitsminister und den Handels- und Industrieminister von Südafrika des Totschlags an und legte ihnen den Tod von etwa 600 Menschen täglich zur Last, die mit HAART vermutlich hätten gerettet werden können.
Ende des 20. Jahrhunderts wurde den großen Arzneimittelherstellern eine historische Chance geboten. Die Krise eröffnete ihnen die Möglichkeit zu einer Neuorientierung der Branche sowohl nach ethischen als auch profitbezogenen Gesichtspunkten, die Möglichkeit, den Kampf gegen die schlimmste gesundheitliche Bedrohung der Menschheit mit ihren Medikamenten effektiv zu unterstützen.
Stattdessen haben sie Südafrika verklagt.
In den Berechnungen und Tabellen derjenigen, die über die Macht verfügen, in das Schicksal von Mintesinots Vater Eskender einzugreifen - der Experten, die behaupteten, Vorbeugung sei kostengünstiger als Behandlung; der privaten Arzneimittelhersteller und Vertreter der Welthandelsorganisation, die die ARVs mit Patenten mit zwanzigjähriger Laufzeit schützen ließen; der Staatsoberhäupter reicher Länder, die die Pharmakonzerne unterstützten; der Staatsoberhäupter armer Länder, die in die Aufrüstung oder in Jachten investierten statt in die öffentliche Gesundheit -, war Eskender eine zu vernachlässigende Größe.
Für Mintesinot war er das nicht.
29
Sechs Monate nach seinem Eintreffen war Ababu - mittlerweile etwa drei Jahre alt - immer noch winzig, und immer noch sprach er nicht, aber zumindest lebte er noch. Seine riesigen Augen in dem alten Gesicht blickten traurig. Seine Beine sahen wie krumme Stecken aus. Er sagte nichts. Wenn Haregewoin ihn aus seinem Bettchen hob und auf ein Handtuch in
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