'Alle meine Kinder'
ohne das Patentsystem zu zerstören.«
»Patente sind der Lebensnerv unserer Branche«, sagte David Warr, als Associate Director für die Steuer- und Handelspolitik von Bristol-Myers Squibb zuständig. »Zwangslizenzen und Parallelimporte hebeln unsere Patentrechte aus.«
Im San Francisco Chronicle hieß es weiter: »Die einzigen Nutznießer einer Aufweichung der Patentrechte, erklärte Warr, seien die Hersteller von Generika, die mit ihren Umsätzen keine teure Forschung subventionieren - eine Forschung, die neue hochwirksame Therapien ermöglicht. ›Man darf nicht gegen die Feuerwehr kämpfen‹, sagte er. Arzneimittelhersteller betonen, selbst wenn der Preis für Medikamente gegen Aids für den afrikanischen Markt auf wundersame Weise gesenkt würde, würden wegen der fehlenden Infrastruktur zur Verteilung der Medikamente und Überwachung der Patienten nur wenige davon profitieren.«
Verbraucher- und Gesundheitsverbände auf der ganzen Welt reagierten mit Entsetzen und lautem Protest auf das Vorgehen der Pharmaunternehmen. Ärzte ohne Grenzen, die AIDS Coalition to Unleash Power (ACT UP), Oxfam, die Health GAP Coalition und die Verbraucherschutzorganisation Consumer Project on Technology mit Sitz in Washington schlossen sich der südafrikanischen Treatment Action Campaign (TAC) an, die sich für den Medicines Act stark gemacht hatte. In Südafrika gab Richter Edwin Cameron vom Obersten Gerichtshof, ein Weißer, der in der Antiapartheidbewegung als Verfechter der Menschenrechte an vorderster Front gestanden hatte, bekannt, dass er HIV-positiv sei, und verglich den Kampf um den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten mit dem Kampf gegen die Apartheid. In einer BBC-Sendung berichtete er darüber, dass ihm die Behandlung das Leben gerettet hatte:
»Es war unglaublich. Gegen Ende Oktober 1997 erkrankte ich plötzlich schwer an Lungenentzündung […] Ich hatte sehr viel Gewicht verloren, mein Immunsystem war zusammengebrochen, und das Virus wütete in meinem Körper.
Ich wusste, dass ich mir Gedanken über diese Behandlung machen musste […], die wahnsinnig teuer war […], völlig unerschwinglich für die meisten Afrikaner mit HIV oder Aids.
Innerhalb von zehn Tagen nach Beginn der Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten wusste ich, dass in mir ein physiologisches Wunder vor sich ging. Ich wusste, dass das Virus sich nicht mehr vermehrte. Ich spürte, wie meine Gesundheit, meine Kraft, mein Appetit und meine Lebensfreude zurückkehrten.« 116
Die moralischen Entscheidungen der 1980er-Jahre, die mit einem Gewissen ausgestattete Menschen dazu brachten, sich gegen die südafrikanische Apartheidsregierung zu stellen, »wiederholen sich in den 2000ern in anderer Form«, sagte Richter Cameron, »im Kampf um einen gleichberechtigten Zugang zu der Behandlung von Aids«. Aktivisten griffen seine Überlegungen mit Schlagworten wie »Patientenrechte vor Patentrechten« und »Stoppt die Apartheid in der Medizin« auf.
»Die Pharmaunternehmen machen sich Sorgen«, erklärte James Love, leitender Direktor des Consumer Project on Technology, vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses »in die peinliche Situation zu geraten, dass ein Medikament wie Fluconazole in Italien für 23,50 Dollar verkauft wird, in Indien dagegen für 95 Cent. Letztlich ist das Ganze eine Frage der PR. Aber wie viele Millionen sollen wegen dieser Peinlichkeit sterben?« 117
Die amerikanische Regierung unter Präsident Bill Clinton und Vizepräsident Al Gore übte dennoch auf Südafrika Druck aus, den Medicines Act zurückzunehmen. Im Oktober 1998 strich der Kongress vorübergehend die Auslandshilfe für Südafrika; die US-Handelsbeauftragte Charlene Barshefsky verweigerte Südafrika bestimmte Zollerleichterungen und setzte das Land auf die sogenannte »Watch List«; und die Regierung Clinton versuchte eine Resolution der Weltgesundheitsorganisation zu verhindern, die von den Mitgliedsstaaten forderte, »sicherzustellen, dass die Belange der öffentlichen Gesundheit in der Pharma- und Gesundheitspolitik höchste Priorität haben« und »wann immer nötig die Anwendung nationaler Gesetze in Betracht zu ziehen, um die in TRIPS enthaltenen Spielräume voll auszunutzen«.
Am 5. Februar 1999 berichtete das Büro der US-Handelsbeauftragten dem Kongress: »Alle wichtigen Behörden der US-Regierung haben sich in einer konzertierten Aktion zusammengeschlossen«, um Südafrika zum Einlenken und zum Verzicht auf den Medicines Act zu bewegen.
Weitere Kostenlose Bücher