'Alle meine Kinder'
Gesundheitsinfrastruktur - zu wenig Fachpersonal, zu wenig Arztpraxen und Krankenhäuser und eine unzulängliche Ausstattung bestehender Einrichtungen - angeführt. Das sind natürlich gravierende Probleme und ständige Hindernisse, aber sie genügen wohl nicht als Rechtfertigung dafür, Millionen von Menschen eine medizinische Versorgung vorzuenthalten. Bei solchen Verallgemeinerungen wird auch übersehen, dass es Hunderte von Ausnahmen und kleinen Erfolgen gibt. In den 14 schwarzafrikanischen Ländern, die am schlimmsten von HIV/Aids betroffen sind, sind beispielsweise 72 Prozent der Kinder gegen Masern geimpft. Pilotprogramme in armen Ländern - wie Dr. Paul Farmer’s Partners in Health (PIH) auf Haiti und ihre Partner-NGO Zanmi Lasante (ZL) - haben die Grundlagen für eine umfassende medizinische Versorgung in unterentwickelten Gebieten geschaffen. Wenn die Medikamente verfügbar sind, kann man die anderen Probleme angehen; wenn ausgebildete Ärzte und Krankenschwestern fehlen, können Helfer angelernt werden; Gemeinden schließen sich zu Projekten zusammen, mit denen Leben gerettet werden können. Ärzte ohne Grenzen haben 2001 in Kambodscha, Kamerun, Guatemala, Honduras, Kenia, Malawi, Südafrika, Thailand, Uganda und in der Ukraine Programme zur Behandlung von Aids ins Leben gerufen. 111 Solche Organisationen schaffen dort eine gute medizinische Versorgung, wo es nach Meinung von Skeptikern nicht möglich ist. Sie haben festgestellt, dass wesentlich mehr Menschen freiwillige Tests und Beratungen in Anspruch nehmen, wenn Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und dass man in Regionen, in denen antiretrovirale Medikamente bereitgestellt werden, auch gegen andere tödliche und unheilbare Krankheiten vorgehen kann; und sie haben festgestellt, dass Stigmatisierung und Tabuisierung nachlassen, wenn statt einer tödlichen eine chronische Krankheit diagnostiziert wird. Medikamentenresistente Stämme bleiben bei dieser rasch mutierenden Pandemie weiterhin ein Problem, aber dafür kann man nicht den Armen die Schuld geben. Die neuen Gesundheitsprogramme haben gezeigt, dass arme Menschen in armen Ländern ärztliche Anweisungen häufig wesentlich gewissenhafter befolgen als die gebildete Bevölkerung in Industriestaaten. 112
Es wurde einmal scherzhaft erklärt, wenn Coca-Cola dafür verantwortlich wäre, die entlegensten Dörfer und Regionen der Welt - auch in jene mit einer großen Zahl von Analphabeten und unzuverlässigen Kühlsystemen - mit ARVs zu versorgen, dann würde es diese Aufgabe mit Bravour erledigen, begleitet von bunten Leuchttafeln und Plakaten und landesweiter Werbung. Jeder in der Gegend würde wissen, wie das Produkt heißt, was es Gutes tut und wo man es bekommt. 113
Mitte der 1990er-Jahre stand fest, dass Südafrika von der HIV/ Aids-Pandemie am stärksten betroffen war; 4,3 Millionen Südafrikaner waren mit HIV infiziert; eine Viertelmillion Südafrikaner würde bis zum Jahr 2000 daran sterben, und man schätzte, dass bis 2010 die Lebenserwartung in Südafrika um mehr als 20 Jahre sinken würde. 114
1997 nutzte die südafrikanische Regierung eine rechtliche Lücke in dem Abkommen über die Rechte am geistigen Eigentum und erließ den Medicines and Related Substances Control Amendment Act. Theoretisch war es nach den Bestimmungen von TRIPS einer Regierung bei einer Notsituation im öffentlichen Gesundheitswesen erlaubt, den Patentschutz für ein Markenmedikament innerhalb des Landes auszusetzen (was als »Zwangslizenz« bezeichnet wurde) und die billigsten verfügbaren Versionen von Markenmedikamenten zu erwerben, statt sie direkt von den Herstellern zu kaufen (was als »Parallelimport« bezeichnet wurde). Weniger als drei Monate, nachdem Präsident Nelson Mandela die Verabschiedung des »Medicines Act« unterzeichnet hatte, erhob die Pharmaceutical Manufacturers Association of South Africa in Vertretung von neununddreißig Pharmaunternehmen Klage beim südafrikanischen Verfassungsgericht und verhinderte dessen Inkrafttreten. Zu den Klägern gehörten Alcon, Bayer, Bristol-Myers Squibb, Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, GlaxoSmithKline, Merck und Smith-Kline Beecham. 115
»Die Pharmaindustrie und die Regierung Clinton sind der Ansicht, dass Zwangslizenzen und Parallelimporte eine Gefahr für das gesamte Regelwerk zum Schutze geistigen Eigentums darstellen«, berichtete der San Francisco Chronicle am 24. Mai 1999. »Zugang zu Aids-Medikamenten, heißt es, kann auch erreicht werden,
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