Alle meine Schuhe
nachdem Sergei an diesem Abend gegangen war, hatten Justin und ich einen Riesenstreit. Ich war wütend darüber, wie er sich meinem Freund gegenüber aufgeführt hatte, und er warf mir vor, den ganzen Abend lang mit Sergei geflirtet zu haben.«
»Dieser besitzergreifende Charakterzug von Justin gefällt mir nicht«, erklärte Debbie.
»Er ist nicht wirklich besitzergreifend«, verteidigte Amy ihn und suchte nach Worten. »Er hat einfach Angst, betrogen zu werden. Ich habe euch doch erzählt, dass seine Ex-Freundin, Natasha, mit seinem besten Freund fremdgegangen ist?«
»Stimmt«, bestätigte Jesminder. »Von daher ist sein Misstrauen verständlich.«
»Ich weiß nicht …« Debbie war nicht überzeugt.
»Jedenfalls hat mich Sergei kurze Zeit später angerufen und gefragt, ob ich mit ihm ins Ballett gehen würde.«
»Und du hast Justin nichts gesagt?«, vermutete Jesminder.
Amy nickte. »Das schien mir einfacher. Justin interessiert sich nicht fürs Ballett. Klar, wenn ich ihn darum bitte, würde er mitkommen. Aber die Vorstellung, mit Sergei hinzugehen, war verlockend. Er begeistert sich so dafür, ist ein toller Begleiter, und er kannte meine Mutter …«
»War es nur dieses eine Mal?«, hakte Jesminder nach.
»Nein. Genau das ist das Problem. Letzte Woche haben wir uns zum vierten Mal heimlich getroffen. Ich habe dich übrigens als Alibi benutzt, Jes. Tut mir leid.«
Jesminder schien ein Licht aufzugehen. »Das erklärt natürlich, warum Justin mich letzte Woche anrief und über den Vorabend ausquetschen wollte.«
»Ich hatte ihm erzählt, ich würde mit dir in den Pub gehen«, murmelte Amy. »Tut mir echt wahnsinnig leid, dass ich dich da mit reingezogen habe.«
»Spitze! Hinterherspioniert hat er dir auch noch«, knurrte Debbie.
»Mit gutem Grund, findest du nicht?«, konterte Amy.
»Stehst du denn nun auf diesen Sergei?«, fragte Debbie.
»Nein! Tue ich nicht! Es ist nur … na ja … er ist für mich eine Verbindung zu meiner Mutter – wir haben so viel gemeinsam. Und er ist charmant, interessant und witzig …«
»Kann ich ihn haben, wenn du ihn nicht willst?«, zog Debbie sie auf. »Ich fühle mich jetzt schon wie Anna Karenina …«
»Und Justin will nicht mit dir sprechen?«, lenkte Jesminder ab und warf Debbie einen mahnenden Blick zu.
Amy nickte und schon wieder traten ihr die Tränen in die Augen. »Er geht nicht an sein Handy. Ich habe es bestimmt zwanzig Mal versucht.«
»Hat er wirklich alle deine Schuhe verkauft?«, fragte Jesminder, während sie einen Schoko-Muffin aus dem Papier löste und in vier Teile schnitt. Ohne zu fragen, nahm sich Debbie eines der Viertel.
»Hat er. Davon gehe ich jedenfalls aus. Er hat es gesagt, und ich kann sie nirgendwo finden. Ich habe diese Schuhe geliebt, und das wusste er auch und … wisst ihr was?«
»Was?«, kam es gleichzeitig aus zwei Schokolade gefüllten Mündern.
»Er hätte nichts tun können, um mich mehr zu verletzen. Mums Ballettschuhe … das einzige Paar, das ich von ihr besaß …«
»Wir müssen sie zurückholen«, sagte Jesminder.
»… manche Leute bewahren Tagebücher oder Fotos auf, die sie an besondere Zeiten erinnern …« Eine Träne lief Amy über die Wange und tropfte auf ihren Pappteller.
»Und ob wir das werden«, stimmte Debbie zu und reichte Amy ein Taschentuch.
»… die meisten Leute in meinem Alter können sich mit ihren Eltern über alte Zeiten unterhalten, aber ich nicht …« Amy nahm die beiden anderen gar nicht mehr wahr und versank immer tiefer in ihrem Kummer.
»Und ich glaube, ich weiß auch schon, wie wir das anstellen.« Jesminder lächelte Debbie verschwörerisch an.
»… ich könnte euch über jedes einzelne Paar zehn, zwanzig Geschichten erzählen …«
»Ich bin ganz Ohr«, schmunzelte Debbie.
»… wo ich war, was ich tat, wer dabei war – das ist verrückt, ich weiß, aber … entschuldige, was hast du gesagt?«
»Ich sagte«, wiederholte Jesminder geduldig, »dass ich weiß, wie wir deine Schuhe zurückbekommen.«
»Wie denn?«
»Indem du sie dir von den Käufern zurückholst.«
» Los geht’s! «, rief Debbie und erschreckte die alte Dame am Nebentisch so sehr, dass sie ihren Regenschirm zu Boden fallen ließ und dieser sich mit einem lauten Plopp zu einem Fächer voller rosa und weißer Rosen öffnete.
»Ja, ganz klar!«, erwiderte Amy sarkastisch. »Wie wollen wir sie denn überhaupt ausfindig machen? Ohne die Erlaubnis von Justins Mutter kann ich ja nicht einmal das Apartment
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