Alle meine Schuhe
betreten. Wirklich eine tolle Idee. Trotzdem danke, Leute.«
Jesminders hübsche, mandelförmige braune Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wir werden sehen, Amy, wir werden sehen.«
Es war schon fast halb neun abends, als Amy sich endlich traute, an ihrer eigenen Haustür zu klingeln.
Phyllis meldete sich leise. »Ja?«
»Ich bin’s, Amy. Kann ich reinkommen?«
Es folgte eine Pause, aber dann ertönte der Summer des Türöffners. Amy hatte ziemlich weiche Knie, als sie die Treppe nach oben stieg. Phyllis stand wartend in der offenen Wohnungstür. Ihr Gesicht drückte bittere Enttäuschung aus.
»Phyllis«, begann Amy, »das Ganze ist ein fürchterliches Missverständnis …«
»Ich habe den größten Teil deiner Sachen bereits in Kisten verpackt«, unterbrach Phyllis sie, allerdings schwang in ihrer Stimme keinerlei Groll mit. »Den Rest kannst du ja ein anderes Mal abholen.«
»Ehrlich, Phyllis, ich habe keine …«
»Es tut mir leid, Amy, wirklich, aber Justin ist tief verletzt, und ich bin es auch.« Amy ging wie betäubt an Phyllis vorbei in die Wohnung. Warum glaubte man ihr nicht? Das Ganze kam ihr so unwirklich vor – und so unfair. Auf den Anblick, der sich ihr im Wohnzimmer bot, war sie dann aber doch nicht vorbereitet. Ein ordentlich aufgerichteter Stapel riesiger Pappkartons stand mitten im Raum. Alle waren säuberlich beschriftet: »Kleidung«, »Bücher«, »Taschen«, »Toilettenartikel«, »Unterlagen«, »Küchenutensilien«, »Sonstiges« und als krönende Kränkung »Schuhkartons«. Phyllis musste den ganzen Tag mit Packen zugebracht haben.
Sie folgte Amy ins Wohnzimmer und reichte ihr einen Umschlag.
»Was ist das?«, fragte Amy mit matter Stimme.
»Ein Scheck. Von Justin«, antwortete Phyllis. »Der Erlös aus den Schuhverkäufen. Ich finde das Verhalten meines Sohnes durchaus nicht immer korrekt, aber eines ist sicher: Er ist kein Dieb.«
Amy nahm den Umschlag entgegen. Was blieb ihr auch übrig? Aber gerade als sie ernst »Ist er doch« entgegnen wollte, ließ ein ohrenbetäubender Lärm beide Frauen zusammenfahren.
»Der Feuer-Alarm«, schrie Phyllis, während sie sich beide die Ohren zuhielten. »Wahrscheinlich ist es wieder ein Fehlalarm, aber man kann nie vorsichtig genug sein. Komm schnell, riechst du Rauch?«
Amy folgte Phyllis zur Tür. Im vergangenen Monat hatte es zweimal Feueralarm gegeben und immer war es Fehlalarm gewesen. Amy wusste im Übrigen, dass das türkische Pärchen im Apartment gegenüber ganz gern Wasserpfeife rauchte.
»Oh, nein! Mrs Tompkiss!«, schrie Phyllis.
»Sei vorsichtig«, rief Amy und versuchte dabei, das Alarmsignal zu übertönen, als die ältere Dame die Treppe hinunterlief, um Mrs Tompkiss, ihre heiß geliebte Katze, zu finden. Noch immer gab es keinerlei Anzeichen von Rauch oder Flammen. Oben und unten im Treppenhaus begannen die Leute, ihre Wohnungen zu verlassen und sich nach unten zur Sammelstelle bei Feueralarm zu begeben.
Amy nicht. Sie ergriff ihre Chance, blickte kurz nach rechts und links, eilte zurück ins Apartment und setzte sich an Justins Computer. Laute Stimmen verrieten ihr, dass es draußen im Treppenhaus hektisch zuging. Amy war so nervös, dass sie zitterte, während sie darauf wartete, dass der Rechner endlich hochfuhr. Es schien eine Ewigkeit zu dauern – Phyllis konnte jeden Moment zurückkommen -, aber schließlich lief er, und Amy klickte sich durch bis zu Justins eBay-Konto. Ihr wurde vor lauter Aufregung ganz schwindelig. Nur noch wenige Minuten, dann wäre sie im Besitz sämtlicher Daten der Käufer …
Doch Justin hatte sein Passwort geändert. Amy tippte wie üblich »Moshpit« ein, bevor sie nach dem vierten erfolglosen Versuch einsah: Er hatte gewonnen.
Fassungslos lehnte sie sich zurück und wartete darauf, dass ihr vor Wut die Tränen kamen. So dicht dran! Wie sollte sie jetzt an diese Informationen kommen? Justin würde ihr die Daten im Leben nicht mailen, da könnte sie ihn noch so sehr bitten. Er würde nie nachgeben. Er war so ein Pedant, wenn es darum ging, eine Sache konsequent durchzuziehen...
Genau das war’s! Amy hatte einen Geistesblitz und wusste plötzlich die Lösung. Justin war wirklich ein Pedant. Ganz sicher hatte er die Adressaufkleber schön ordentlich mit dem Computer geschrieben und die Etiketten ausgedruckt. Niemals würde er sich die Mühe machen, die Pakete handschriftlich zu adressieren – wo es doch eine effiziente Möglichkeit gab, dies maschinell zu
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