Alle meine Schuhe
Kapitel
W eißt du«, zischte Debbie eine Viertelstunde später in Amys Ohr, »bei Aschenputtel hackt sich eine der hässlichen Schwestern den Zeh ab, um in den gläsernen Schuh zu passen.«
»Was?« Amy hörte nur halb zu. Wie gelähmt betrachtete sie mit entsetzter Faszination die beiden Schwestern, die vor ihnen saßen und so verzweifelt versuchten, ihre Füße in Amys kostbare Schuhe zu zwängen, als hinge ihr Leben davon ab.
»Ungelogen«, fuhr Debbie fort. »Sie sägt sich den dicken Zeh ab und zwängt in den Schuh, was von ihrem Fuß noch übrig war. Und dieser Prinz, der offen gesagt nicht ganz dicht war, fegt mit ihr auf dem Rücken seines Pferdes davon. Erst als sie in der untergehenden Sonne davongaloppieren, sieht er das Blut aus ihrem Schuh tropfen und erkennt, dass man ihn verarscht hat.«
»So ging die Geschichte von Aschenputtel niemals aus!«, rief Amy und stieß Debbie mit dem Ellenbogen in die Rippen.
»Wo ich herkomme schon! Hier im Norden lieben wir unsere Märchen härter.«
»Du bist doch krank. Hey, vorsichtig!« Amy stürzte sich nach vorn, als einer der Schuhe auf den Boden flog, weggeschleudert von der zunehmend verzweifelten Iwona. Währenddessen bestäubte Marta heimlich ihre Füße mit Talkum als Vorbereitung für einen neuen Versuch, den anderen Schuh über ihren großen, unnachgiebigen Fuß zu stülpen.
»Es nützt nichts!«, knurrte sie. »Er passt tatsächlich nicht!«
»Möchte jemand eine Säge?«, zwitscherte Debbie.
Vor wenigen Minuten hatte Iwona erklärt, warum die beiden Schwestern wegen dieser Schuhe auf Kriegsfuß standen. Sie hatten sie bei eBay entdeckt, als sie zusammen im Internet surften, hatten sich aber nicht einigen können, wer von ihnen für die Schuhe bieten sollte, und deshalb vereinbart, sich die Kosten zu teilen, wenn ihr Höchstgebot von fünfunddreißig Pfund den Zuschlag bekäme.
Aber Marta hatte ihr Gebot im letzten Moment auf vierzig Pfund erhöht, um sich die Schuhe zu sichern – für sich allein. Als das Päckchen im Fitnesscenter eintraf und Iwona die Intrige ihrer Schwester herausfand, schloss sie wütend die Schuhe in ihrem Spind ein, bevor Marta sie überhaupt in die Finger bekam. Seither hielt Iwona die Schuhe in Geiselhaft.
Und jetzt, während Amy und Debbie gespannt zusahen, probierten sie die Schuhe zum ersten Mal an. Dafür zogen sie ihre Trainingsschuhe aus und enthüllten Füße, die so groß waren wie Bootsplanken.
»Haben die beiden vor dem Bieten denn nicht die Größe gecheckt?«, zischte Debbie stirnrunzelnd.
»Sie werden eine gute Fee plus Zauberstab brauchen, um in diese Schuhe zu passen«, erwiderte Amy.
»Es liegt nur am Schweiß«, keuchte Marta.
»Was?«, schrie Amy.
»Wenn die Füße den ganzen Tag in Trainingsschuhen stecken, dann schwitzen sie und schwellen an.«
»Nie im Leben!«, erwiderte Iwona scharf. »Deine Füße waren schon immer eine halbe Nummer größer als meine.«
»Warte … einen Moment … nein!« Mit einem letzten Ruck rutschte Marta von der Bank und polterte auf den Boden, hechelnd und geschlagen, während der Schuh umfiel. Amy unterdrückte das Bedürfnis zu schreien und ihn sich zu holen.
»Zehn von zehn Punkten für die Mühe«, flüsterte Debbie. »Das müssen wir ihr zugestehen.«
»Sei still!«
Jetzt war nur noch Iwona im Rennen. Verstohlen knetete sie das Lackleder, um es weicher zu machen. Dann beugte sie sich zu einem letzten, tapferen Versuch nach vorn. Aber es war zwecklos. Amy konnte sogar aus ein paar Metern Entfernung erkennen, dass es gerade einmal die Zehen und der Spann bis in den Schuh geschafft hatten.
Iwona setzte sich auf und legte die Arme in den Schoß. Dann atmete sie tief aus und warf einen sehnsüchtigen Blick zum Plakat mit der Ballankündigung.
Amy folgerte blitzschnell.
Sie muss gehofft haben, die Schuhe auf dem Ball tragen zu können – und dann mit diesem großen, muskulösen Typen hinzugehen!
»Um ehrlich zu sein«, begann Amy zögernd, »in diesen Schuhen zu tanzen, ist der reinste Selbstmord.«
Iwonas Blick fiel auf den Schuh vor ihr. Dann hob sie ihn hoch und begutachtete Absatz und Sohle.
»Ich habe sie nur ein einziges Mal getragen«, fuhr Amy fort, »und sie haben mich fast umgebracht. Diese Holzabsätze sind absolut gnadenlos. Ich bin danach tagelang gehumpelt.«
»Warum wollen Sie die Schuhe dann zurück?«, zischte Iwona.
Gutes Argument, Sherlock. Und was zur Hölle antworte ich darauf? Nun, wenn alles andere nicht funktioniert, wie
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