Alle meine Schuhe
mich noch nicht entschieden …«
Die Empfangsdame wirbelte herum. »Massenhaft Karten! Jetzt fällt es mir wieder ein!« Amy war mittlerweile für alle Anwesenden Luft. Dass sie so ignoriert wurde, ärgerte sie zwar, aber ein Teil von ihr genoss dieses Schauspiel ungemein.
Debs, beeil dich – das musst du sehen.
»Wie schön.« Er fixierte die Frauen immer noch, wie ein Tiger, der durch Zufall zwei Gazellen auf einmal gestellt hatte. »Ich könnte mich aber nie zwischen zwei Schwestern drängen. Bis später.«
Und damit wendete Adonis sich von ihnen ab und stolzierte den Gang hinunter in Richtung Fitnessbereich.
Mit dem Hintern könnte man Nüsse knacken, dachte Amy und kicherte innerlich über seinen frechen Abgang.
Die Empfangsdame und ihre blonde Schwester standen wie versteinert da. Endlich meldete sich Amy zu Wort: »Ähm, entschuldigen Sie bitte?« Jetzt oder nie.
Die Frauen drehten sich zu ihr um und starrten sie an.
»Ach, Sie sind ja immer noch da.«
Amy holte tief Luft und sagte so zuversichtlich wie sie nur konnte: »Ja, das bin ich. Es tut mir leid, Sie zu stören, ich sehe ja, dass Sie beschäftigt sind, aber arbeitet hier vielleicht eine Marta Kowalski?«
Die Schwestern wechselten einen Blick. Dann verengte die Empfangsdame die Augen zu schmalen Schlitzen und erwiderte: »Und Sie sind?«
»Ich bin Amy Marsh, aber Marta kennt mich nicht. Ich muss sie wegen ein Paar Schuhen sprechen, die sie über eBay gekauft hat. Es hat da eine Verwechslung gegeben.«
Es folgte Stille. Amy war sicher, dass die beiden wussten, wovon sie sprach. Ihre Gesichter blieben jedoch regungslos.
»Ja und?«
»Ich … ich habe diese Schuhe aus Versehen verkauft und hatte gehofft, sie möglicherweise zurückzubekommen. Zurückzu kaufen , meinte ich, natürlich …«
»Wir verstehen nicht, wovon Sie reden. Nicht wahr, Iwona?«
Iwona? Dann musste die Empfangsdame Marta sein.
Diese blickte ihre Schwester finster an und zischte ihr etwas auf Polnisch zu. Iwona antwortete mit schneidender Stimme, ihre Schwester blaffte zurück und schon bald waren die beiden – wütend gestikulierend mitten im nächsten Streit.
Ratlos sah Amy den beiden ein paar Augenblicke lang zu und fragte sich, was sie tun sollte.
Das ist völlig verrückt! Debbie hätte sich längst eingemischt, Jesminder hätte uns alle dazu gebracht, uns an einen Tisch zu setzen und vernünftig über die Dinge zu reden, und ich? Völlig hilflos. Das ist einfach total … mies!
Sie trat einen Schritt vor und hob die Hände. »Stopp!« Wie sehr sie sich nach etwas mehr Durchsetzungsvermögen sehnte, nach höheren Absätzen, einer tieferen Stimme, einer Hupe, nach irgendetwas ! Aber es schien zu funktionieren – irgendwie. Die dunkelhaarige Empfangsdame verstummte und drehte sich zu Amy, um sie anzusehen.
»Okay. Ich bin Marta.«
Volltreffer! Zumindest war sie an der richtigen Adresse – aber diese beiden könnten wohl kaum noch schwieriger sein! Die zwei hier sind pures Dynamit …
Iwona, die Blondine, schaltete sich ein: »Sie möchten etwas über Schuhe erfahren? eBay -Schuhe?« Sie stürmte zu einer Seite des Empfangsbereiches. Dort befanden sich etliche Spinde. Die Blondine zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, steckte einen der Schlüssel gewaltsam ins Schloss, riss die Tür auf und zerrte ein Paar Schuhe heraus. » Diese hier?«
Amy hielt den Atem an.
Da waren sie, lieblos auf den Anmeldetresen geknallt: ihre schwarzen Lackleder-Pumps von Ferragamo, die mit den 7,5 Zentimeter hohen hellen Holzabsätzen, dem winzigen, herzförmigen Zehenausschnitt und dem grob gerippten Band als Fesselriemchen; diejenigen, wegen denen sie vor zwei Jahren mit dem Verkäufer in Spitalfields gehandelt hatte, als ginge es um ihr Leben: diejenigen, die ihr die Welt bedeuteten.
Allein beim Anblick ihrer Schuhe stürmten wehmütige Erinnerungen auf Amy ein. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass diese Schuh-Suche nicht einfach nur lohnenswert, sondern lebenswichtig für sie war. Aber die Schuhe vor Augen zu haben, war das eine, sie von diesen Damen auch zurückzubekommen, etwas anderes.
»Das war’s!«, blaffte Marta und schnappte sich die Schuhe. Iwona knurrte irgendetwas auf Polnisch, während ihre Schwester eine Grimasse zog.
»Warte!«, rief Amy.
»Na, habt ihr euch schon angefreundet?« Zu Amys Erleichterung kehrte Debbie endlich zurück.
»Sag du es ihr«, murmelte Marta, stieß mit einem der Absätze nach ihrer Schwester und wandte sich ab.
8.
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