Alle meine Schuhe
mondäner, als ich dachte – ein Butler! Aktennotiz an mich selbst: Keine Voreingenommenheit gegenüber Leuten, nur weil sie am Arsch der Welt leben. Hey, vielleicht bekomme ich hier meine Prada Slingbacks zurück.
Nervös an ihrer Unterlippe nagend betrat sie das Wohnzimmer. Der Raum war voller Gäste. Sie standen herum und hielten Gläser in der Hand, deren Inhalt verdächtig nach Whiskey aussah und …
Alle Leute trugen schwarz. Amy musste gar nicht mehr zu dem offenen Sarg schauen, der mitten im Zimmer stand. Sie wusste auch so, was hier los war.
Das war also gar kein Butler vorhin …
»Maureen! Und wir dachten schon, du würdest es nicht schaffen.« Ein Mann, der so alt zu sein schien wie die Berge von The Burren , kam auf sie zugewankt, und zwar wesentlich flinker, als sein Aussehen vermuten ließ. Er drückte ihr ein Whiskeyglas in die linke Hand und ergriff ihre rechte.
Amy lächelte verlegen. »Tut mir leid, aber ich bin nicht Maureen!«, protestierte sie, nahm den Whiskey jedoch dankbar entgegen.
»Sehr gut, sehr gut! Wunderbar, dich wiederzusehen, Maureen!« Der Mann schien taub zu sein und zudem ein bisschen beschwipst.
»Ähm …« Sie suchte nach einer passenden Bemerkung und hätte am liebsten die einzige Frage gestellt, die definitiv unpassend war: Wer ist denn eigentlich gestorben? Stattdessen schwieg sie und nippte an ihrem Whiskey. Die scharfe Flüssigkeit brannte ihr bis hinunter in den Magen und plötzlich wurde ihr wunderbar warm.
»Und wie ist es so in Dublin, Maureen?«
»Ich bin leider nicht Maureen.«
»Schlimme Sache, das mit Nuala, nicht wahr?«
Nuala! Oh nein!
»Im Grunde haben wir alle damit gerechnet, nachdem sich ihr Zustand so verschlechtert hatte, aber man ist trotzdem wie vom Blitz getroffen, findest du nicht auch? Letzte Woche haben Nuala und ich noch eine Tasse Tee zusammen getrunken. Ich kam vorbei, um ihr zu erzählen, wie es bei mir seit dem Eingriff läuft. Deine Tante Clodagh hat dir doch bestimmt von meiner Operation erzählt?« Er deutete mit Kopf nach unten in Richtung seines Unterleibs. Amy hüstelte höflich, schaute weg und fragte sich, was in aller Welt sie jetzt tun sollte.
»Ladies und Gentlemen, wenn ich noch ein weiteres Mal um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte?« Eine elegant gekleidete Dame in den Dreißigern hob den schlanken Arm und wandte sich an die Menge. Ihr schwarzes Etuikleid saß wie angegossen, und Amy konnte sich nicht des Gedankens erwehren, dass ihre schwarzen Prada Slingbacks sehr viel besser dazu gepasst hätten als diese Gesellschaftsschuhe mit niedrigem Absatz. »Ich möchte Sie gar nicht länger hier festhalten, aber vielleicht will jemand noch ein paar Worte über meine Mutter sagen, bevor ich selbst etwas sage.«
Leises Gemurmel erhob sich, während die Leute im Raum einander ansahen und darüber sprachen, ob sie etwas sagen sollten oder nicht. Amys Kopf arbeitete auf Hochtouren. Offenbar war die arme alte Mrs Nuala McCarthy erst kürzlich verstorben – und lag in dem offenen Sarg, der mitten im Raum stand.
Der Anblick eines Sarges ließ Amy unweigerlich an die Beerdigungen ihrer Eltern denken. In solchen Momenten konnte sie immer noch unversehens von Trauer überrollt werden. Sie blickte in Richtung Sarg, konnte sich jedoch nicht überwinden, näher heranzugehen und hineinzusehen. Dazu hatte sie im Grunde auch kein Recht. Aber wie schade war es doch, gerade erst ein paar neue Schuhe gekauft zu haben und dann zu sterben, ohne Spaß daran gehabt zu haben. Ob Mrs McCarthy es wohl geschafft hatte, sie vor ihrem Tod wenigstens einmal zu tragen? Dann kam sie aber ins Grübeln, ob das nicht die unpassendsten Gedanken waren, die es an diesem Tag in diesem Raum gegeben hatte – die unpassendsten überhaupt. Oder hatte Mrs McCarthy etwa die Wanderstiefel gekauft? Es tat gut, sich vorzustellen, wie ihre treuen Brasher-Stiefel an den Füßen ihrer neuen Besitzern durch The Burren marschierten, mit Blick auf das wogende Meer …
»Hier!« Der alte Mann, der Amy den Whiskey gegeben hatte, fasste sie am Ellenbogen und zog sie sanft, aber bestimmt nach vorn. »Unsere kleine Nachzüglerin hatte noch keine Gelegenheit, etwas zu sagen, Breda!«
»Nein«, protestierte Amy leise, aber erfolglos. Die Menge begann sich bereits zu einem Halbkreis um sie herum zu öffnen. Amy spürte, wie sie in die Mitte des Raumes geschoben wurde, bis sie neben dem offenen Sarg stand und sich mit ihm das Rampenlicht teilte.
»Gut so, Mädchen, besser
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