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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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stilles Eck in dem Zimmer, um in Ruhe nachzudenken. An den stabilen Eichenrahmen einer Tür gelehnt, beobachtete sie die Szene, als würde sie über dem ganzen Spektakel schweben, Seite an Seite mit dem Geist von Nuala McCarthy.
    Ihr standen jetzt mehrere Möglichkeiten offen: Sie könnte sich bis nach der Beerdigung in ihr Auto setzen, um Mitternacht mit einem Spaten zurückkehren, die Leiche ausgraben und sich die Schuhe holen. Oder sie könnte es sich zunutze machen, dass der Sarg offen stand und sich momentan keine Trauernden drumherum scharrten. Sie könnte der toten Lady die Schuhe mit einem Ruck entreißen und durchs Fenster hechten, was der kürzeste Fluchtweg zum Auto war. Amy spürte geradezu, wie Debbie bei dem Vorschlag begeistert in die Hände klatschten würde. Sie könnte natürlich auch die arme, trauernde Breda McCarthy zur Seite nehmen, ihr die Wahrheit sagen und sie auf sehr nette Art bitten, ihrer geliebten Mutter die Schuhe auszuziehen, um sie einer Fremden zu geben und damit die Pläne eines ihr unbekannten, rachsüchtigen Ex-Freundes zu vereiteln – dessen Existenz sie gutgläubig akzeptieren musste. Doch warum sollte sie das tun, nachdem Amy bisher Oscarverdächtig gelogen hatte?
    Oder sie könnte einfach nichts tun. Den Rest Würde, den sie noch besaß, zusammenraffen, sich innerlich bei all den Menschen hier im Raum entschuldigen und verschwinden.
    Wenn sie sich zwischen dieser Möglichkeit und einem mitternächtlichen Friedhofsbesuch entscheiden musste, steckte sie wohl ernsthaft in der Klemme.
    Sie stellte ihr Whiskeyglas auf das Klavier, neben das sie sich verkrochen hatte.
    Dann blickte Amy ein letztes Mal in den Sarg, neigte den Kopf und wünschte stumm Lebewohl. Dann drehte sie sich um und ging.
    Ihr Aufbruch blieb jedoch nicht unbemerkt. Wort- und nahezu geräuschlos tauchte der Mann auf, der ihr beim Eintreffen die Tür geöffnet hatte, und geleitete sie hinaus.
    »Sie gehen schon?«, fragte er, keineswegs unfreundlich und blieb stehen, um ihr die Tür zu öffnen.
    »Ja, leider. Ich muss mein Flugzeug in die Staaten erreichen.« Zumindest das war die Wahrheit.
    »Ihre Mutter und Nuala waren Freundinnen? Wie, sagten Sie, war Ihr Name?«
    Amy fröstelte, fest davon überzeugt, dass auf ihrer Stirn die Worte RIESENGROßE LÜGNERIN in Neonfarben prangten.
    »Ähm, tatsächlich habe ich ihn nicht erwähnt! Wie dumm von mir! Ich bin Amy. Aber du liebe Güte, ist es wirklich schon so spät? Ich muss los. Ich wollte nur mein Beileid aussprechen und nicht weiter stören, also dann …«
    Der Mann lächelte sie verhalten an. »Ihre Mutter muss Nuala vor sehr langer Zeit getroffen haben.«
    Amy rang sich ein vorsichtiges Nicken ab, panisch gegenüber dem, was jetzt wohl käme. Zentimeterweise arbeitete sie sich zur Haustür vor und tauchte unter dem Arm des Mannes durch, als er ihr die Tür aufhielt.
    »Wenn man überlegt«, sagte er nachdenklich, »dass Nuala im Rollstuhl gesessen hat, seit sie mit 16 diesen Unfall hatte, also …«
    »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«, stieß Amy hervor, ihre Wangen glühten vor Scham und vom Whiskey. »Mein Flug …« Sie stürmte in Richtung ihres Wagens davon.
    Der Mann nickte nachdenklich. »Also, wenn der Unfall vor 60 Jahren passierte, dann heißt das … Amy? Hallo? Eine wirklich außergewöhnliche, geradezu unmögliche Freundschaft, finden Sie nicht auch?«
    Schlimmer konnte es nicht werden. Sobald sie ihren Wagen erreicht hatte, flüchtete sie hinein und winkte dem Mann zu, der immer noch regungslos in der Tür stand. Es war ein kindliches, schuldbewusstes Winken. Sie war völlig durchschaut worden und konnte nichts tun. Sie startete den Motor, wendete den Wagen und fuhr zurück Richtung Ballyvaughan, zu den geschmückten Straßen und zurück zum Flughafen, wo Debbie ihr für die Nacht ein preiswertes Hotelzimmer gebucht hatte, bevor es am nächsten Morgen weiterging nach New York.
    Es dauerte die gesamte Rückfahrt, bis die Röte aus ihrem Gesicht verschwunden war. Sie konnte nicht einmal in der feiernden Stadt anhalten, um den Polizisten zu suchen, denn sie hatte eine Whiskeyfahne. Zwar hatte sie sicher nicht zu viel getrunken, um noch fahren zu können, trotzdem war die Aussicht, in ein Röhrchen pusten zu müssen und die Nacht in einer Zelle zu verbringen, noch weniger verlockend als sich in einem gottverlassenen Hotelzimmer am Rand einer irischen Landebahn zu verkriechen.
    Morgen wird dann Gott sei Dank ein ganzer Ozean zwischen mir

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