Alle meine Schuhe
Lächeln.
»Miss Marsh?«, rief sie und stand winkend auf dem Bürgersteig.
Amy eilte auf sie zu und ergriff ihre Hände. »Amy. Bitte nennen Sie mich Amy. Sie müssen Maria sein? Sergei hat mir gesagt, dass Sie mich abholen würden. Das ist unheimlich nett von Ihnen – sich solche Mühe zu machen!« Amy wurde klar, dass sie dummes Zeug brabbelte. Sie hielt inne, um erst mal Luft zu holen. Aber es war einfach zu schön, von jemandem in Empfang genommen zu werden, der einen beim Namen kannte – insbesondere nach diesem deprimierenden Gastspiel in Irland.
»Ist mir ein Vergnügen«, erwiderte die Frau mit weichem, südamerikanischem Akzent.
Maria, die Amy immer noch an den Händen hielt, trat einen Schritt zurück und musterte sie genau. Ein Lächeln strahlte ihr entgegen. Aber unübersehbar war da auch ein Ausdruck von Überraschung.
Amy wurde unsicher. Habe ich was angestellt?
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie zögernd. »Habe ich etwa Blaubeerflecken im Gesicht?« Instinktiv rieb sie sich mit den Fingern über den Mund. »Ich habe im Bus Bärensaft getrunken und hatte keinen Spiegel …«
Maria lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, Amy, Sie sehen gut aus. Nur ein bisschen müde, aber das ist ja auch kein Wunder. Sie müssen sich nach einer Ruhepause sehnen. Gehen Sie schon mal zum Auto – es steht da vorn -, und ich kümmere mich um Ihr Gepäck.« Sie wies auf Amys riesigen Koffer. »Ist das alles?«
»Das ist furchtbar nett von Ihnen, aber den nehme ich. Wirklich, es geht mir gut.«
Nach ein paar weiteren höflichen Worten waren Amy und ihr Gepäck in Marias Kombi untergebracht, und sie fuhren das kurze Stück zu Sergeis Haus.
Amy bewunderte die grüne, sonnenverwöhnte Landschaft und begann zu schwitzen. Die Klimaanlage in Marias Wagen half nicht viel, da Amy immer noch für irisches Küstenwetter gekleidet war und nicht für eine Hitzewelle auf Long Island. Mit der Baseballkappe fächerte sie sich Luft zu und versuchte trotz ihrer müden Augen, möglichst viel von ihrer Umgebung zu sehen.
Und da war er schließlich: der Ozean mit den Segelbooten, die auf den Wellen schaukelten.
Kurz darauf blinkte Maria links, und sie bogen in eine breite, von Bäumen gesäumte Allee ein. »So – da wären wir.«
»Wow!« Amy hielt den Atem an.
Sergeis Haus war wunderschön. Amy hatte es nicht anders erwartet. Es war ein großes, in traditionellem Stil erbautes Holzhaus, in Pastellblau gestrichen, mit weißen Fensterrahmen und Türen sowie einer eleganten Veranda, die um das gesamte Gebäude lief. Sie schützte die Bewohner vor der schlimmsten Sommerhitze, die laut Maria den gesamten Staat mit rekordverdächtiger Heftigkeit versengte.
Die gepflasterte Auffahrt führte eine leichte Steigung hinauf zu einer riesigen Doppelgarage, die an beiden Seiten von prächtigen Blumenrabatten in voller Blüte gesäumt war.
»Die Blumen sind ja alle weiß!«, rief Amy aus. »Diese Lilien sind umwerfend und erst die Rosen! Und da vorn, ist das weißer Flieder?« Sie fühlte sich plötzlich zurückversetzt in den winzigen, zugewachsenen Garten ihrer Kindheit. Ihre Mutter hatte Blumen geliebt.
Maria nickte stolz. »Auf speziellen Wunsch von Mr Sergei – nur weiße Blumen. Antonio, mein Mann, kümmert sich um den Garten. In Brasilien, wo Antonio und ich herkommen, liebt man Farbenpracht. Aber hier passt das Weiß irgendwie. Gefällt es Ihnen?«
Amy nickte überwältigt.
Mum hatte davon geträumt, eines Tages genau so einen Garten anzulegen … nur mit weißen Blumen.
Das Thema Weiß dominierte auch das Innere des Hauses: offen angelegt mit Holzböden, dezenten Läufern und massiven, lang gestreckten hellen Sofas. Amy schwebte nur so durch den Raum. Die luftige Ruhe von Sergeis Zuhause erweckte ihre müden Sinne wieder zum Leben. Und die Bilder! Überall waren gerahmte Fotos an den Wänden, dem Treppenaufgang, in kleinen Gruppen auf Beistelltischen und oben auf dem Stutzflügel, der am entgegengesetzten Ende der Eingangshalle stand. Maria hatte ganze Sträuße weißer Lilien und Rosen aus dem Garten geholt und sie überall im Haus arrangiert, so dass ihr Duft jeden Raum erfüllte.
»Hier könnte ich für immer bleiben«, stieß Amy hervor.
Sergei hatte erst spät in seinem Leben geheiratet, eine wunderschöne Kalifornierin namens Lisa, die fünfzehn Jahre jünger war als er und die Amy nur von Fotos kannte. Die beiden hatten zwei kleine Töchter, Katya und Anna. Ihre lachenden Gesichter waren überall und als Amy
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