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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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ausdehnte, nur noch eine Zeit des Exils; meine Kleider würden Verkleidungen sein, mein Leben eine Komödie.
    Der Comte de Saint-Ange ging an mir vorbei; er sah sehr blaß aus; ich hielt ihn an.
    «Sie spielen nicht mehr?» fragte ich.
    «Ich habe zuviel gespielt», sagte er. «Ich habe alles verloren.»
    Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn; er war ein törichter, schlaffer Mensch; aber er war ein Mensch dieser Zeit, er war auf der Welt zu Hause; ich beneidete ihn.
    Ich zog eine Börse aus meiner Tasche: «Versuchen Sie, es wieder einzuholen.»
    Sein Antlitz wurde noch weißer: «Und wenn ich verliere?»
    «Sie werden gewinnen. Zuletzt gewinnt man immer.»
    Mit einer raschen Bewegung nahm er die Börse und setzte sich an einen Tisch; seine Hände zitterten. Ich beugte mich über seinen Stuhl: diese Partie amüsierte mich. Wenn er verliert, was macht er dann? Bringt er sich um? Wird er sich mir zu Füßen werfen? Wird er mir seine Frau verkaufen wie der Marquis de Vintenon? Der Schweiß lief ihm über die Oberlippe, er war im Begriff zu verlieren. Er verlor und fühlte sein Leben flackern in seiner Brust und brennen in seinen Schläfen; er setzte sein Leben aufs Spiel und lebte dadurch. Und ich? dachte ich. Werde ich niemals kennenlernen, was selbst der Elendeste unter ihnen kennt? Ich stand auf und trat an einen anderen Tisch. Wenigstens, dachte ich, kann ich mein Vermögen verlieren. Ich setzte mich und warf eine Handvoll Goldstücke auf das grüne Tuch.
    Ein Raunen lief durch den Saal. Der Baron de Sarcelles setzte sich mir gegenüber; er war der reichste Finanzier von Paris.
    «Das ist eine Partie, die interessant werden kann», sagte er.
    Auch er warf eine Handvoll Louisdors hin, und wir spielten schweigend. Nach einer halben Stunde lag keine Münze mehr vor meinem Platz, und meine Taschen waren leer.
    «Ich setze 50   000   Taler auf mein Wort», sagte ich.
    «Abgemacht.»
    Eine Menschenmenge drängte sich jetzt um uns her; sie starrten auf das leere Tuch und hielten den Atem an. Als Sarcelles seine Karten aufdeckte und ich die meinen hinwarf, stießen sie unterdrückte Schreie aus.
    «Quitt oder Double», sagte ich.
    «Quitt oder Double.»
    Er gab die Karten. Ich blickte ihre glänzende Rückseite an und fühlte, wie mein Herz etwas schneller schlug; wenn ich verlieren könnte, alles verlieren, würde mir das Leben vielleicht einmal anders vorkommen   …
    «Ich danke», sagte Sarcelles.
    «Zwei Karten», sagte ich.
    Ich nahm die Karten auf. Vier Könige. Ich wußte, damit schlug ich Sarcelles.
    «Noch zehntausend!» sagte er.
    Ich zögerte einen Augenblick. Ich konnte meine Karten hinwerfen und sagen: Ich gebe auf. Etwas fast wie Zorn packte mich an der Kehle. War es so weit mit mir gekommen? Betrügen, um zu verlieren? War es mir nicht mehr möglich, ohne Betrug zu leben?
    Ich sagte: «Ich halte» und deckte meine Karten auf.
    «Bis morgen mittag haben Sie das Geld», sagte Sarcelles.
    Ich verneigte mich, ging durch den Saal zurück und trat wieder in den Salon. Der Comte de Saint-Ange lehnte an der Wand; er sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
    «Ich habe das ganze Geld verloren, das Sie mir geliehen haben», sagte er.
    «Nicht jedem glückt das», sagte ich.
    «Bis wann wollen Sie es zurückhaben?»
    «In 24   Stunden. Ist es nicht üblich so?»
    «Ich kann nicht», sagte er. «Ich habe das Geld einfach nicht.»
    «Dann durften Sie nicht borgen.»
    Ich wandte ihm den Rücken und begegnete dem Blick von Mademoiselle de Sinclair; ihre blauen Augen funkelten vor Zorn.
    «Es gibt Verbrechen, die das Gesetz nicht ahndet und die nichtswürdiger sind als ein offener Mord», sagte sie.
    «Ich habe nichts gegen den Mord», antwortete ich ihr.
    Wir maßen uns schweigend mit dem Blick; diese Frau hatte keine Angst vor mir; sie drehte sich auf dem Absatz um, doch ich legte ihr meine Hand auf den Arm.
    «Sie haben eine große Abneigung gegen mich, nicht wahr?»
    «Was für ein Gefühl gedenken Sie sonst einzuflößen?»
    Ich lächelte. «Sie kennen mich schlecht. Sie sollten mich zu einer Ihrer kleinen Samstagsréunions einladen. Ich würde Ihnen mein Herz eröffnen   …»
    Der Hieb saß; das Blut stieg ihr in die Wangen. Madame de Montesson wußte nicht, daß ihre Vorleserin einige Habitués des Salons an sich gezogen hatte; sie wäre nicht die Frau gewesen, dergleichen zu verzeihen.
    «Ich empfange nur meine Freunde», sagte sie.
    «Es wäre besser für Sie, mich zum Freund als zum Feind

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