Alle Menschen sind sterblich
Malatesta, der doch so lustig war; ich schritt durch die Tür und stellte mit Befrie- digung fest, daß ihre Mienen erstarrten und ihr Lachen erlosch. Niemand außer Bompard kannte mein Geheimnis, doch flößte ich ihnen Grauen ein. Ich hatte mir ein Vergnügen daraus gemacht, ein paar von diesen Leuten zu ruinieren, viele von diesen Frauen zu demütigen; bei jedem meiner Duelle tötete ich einen Gegner: es hatte sich eine Legende um meine Person gebildet.
Ich trat an den Sessel heran, auf dem die Herrin des Hauses saß und Cercle hielt; sie war eine böse, muntere alte Frau, der es manchmal gelang, mich durch ihre Einfälle zu amüsieren; und sie hatte mich gern, denn sie sagte, ich sei der übelwollendste Mensch, der ihr jemals begegnet sei. Aber in diesem Augenblick durfte ich nicht daran denken, mit ihr zu sprechen. Der alte Damien war gerade mit dem kleinen Richet in eine Debatte verstrickt: sie stritten um die Rolle der Vorurteile im menschlichen Leben; Richet vertrat das Recht der Vernunft. Ich haßte die Greise, weil sie ihr ganzes Leben hinter sich fühlten, rund und wohlgefüllt wieeinen dicken Kuchen. Ich haßte die jungen Leute, weil ihre ganze Zukunft noch vor ihnen lag; ich haßte jenen Ausdruck von Enthusiasmus und Intelligenz auf ihrer aller Mienen. Nur Madame de Montesson hörte kühl bis ans Herz hinan zu, und ihre Nadel glitt ruhig durch ihre Tapisserie.
Brüsk mischte ich mich ein: «Sie haben alle beide unrecht. Weder Vernunft noch Vorurteile können dem Menschen nützen. Dem Menschen kann gar nichts nützen, weil er nichts mit sich anzufangen weiß.»
«Das paßt zu Ihnen, daß Sie so reden», sagte verachtungsvoll Marianne de Sinclair.
Sie war eine große, recht hübsche Person, die bei Madame de Montesson die Rolle der Vorleserin innehatte.
«Sie haben ihr Glück zu machen und das der anderen», sagte Richet.
Ich zuckte die Achseln: «Sie werden niemals glücklich sein.»
«Sie werden es an dem Tage sein, wo sie vernünftig sind», meinte er.
«Sie wollen es nicht einmal sein», sagte ich. «Sie begnügen sich damit, so lange die Zeit totzuschlagen, bis sie sie selber erschlägt. Sie alle hier schlagen die Zeit damit tot, daß sie sich mit großen Worten berauschen.»
«Woher sollten Sie die Menschen kennen?» fragte Marianne de Sinclair. «Sie verachten sie ja.»
Madame de Montesson hob den Kopf; ihre Nadel schwebte über ihrer Stickerei: «Ach! Genug davon», sagte sie.
«Ja», sagte ich. «Genug der Worte.»
Worte; weiter hatten sie mir nichts zu bieten: Freiheit, Glück, Fortschritt; von diesen Hohlheiten lebten sie. Ich wandte mich um und ging auf die Tür zu; ich erstickte in diesen winzigen Räumen, die mit Möbeln und Bibelots vollgepfropft waren. Überall waren Teppiche, Puffs, Draperien,und die Luft war geschwängert von Parfums, die mir Kopfweh machten. Mein Blick schweifte rund um den Salon; alle hatten jetzt wieder zu schwatzen angefangen; ich konnte zwar einen Augenblick lang ihre Begeisterung zum Erstarren bringen, aber sie flammte gleich wieder auf. Marianne de Sinclair hatte sich mit Richet in eine Ecke zurückgezogen; sie sprachen, ihre Augen leuchteten. Sie bewunderten einander, und jedes bewunderte sich selbst. Mit einem Fußtritt hätte ich sie zum Schweigen bringen mögen. Ich ging zur Tür hinaus. In dem langgestreckten Nebenraum saßen Männer an Spieltischen; diese Leute hier sprachen nicht, lachten nicht, sie saßen mit starren Blicken und zusammengepreßten Lippen da; Geld gewinnen, Geld verlieren, weiter fanden sie nichts, um sich zu unterhalten. Zu meiner Zeit sprengten die Pferde durch die Ebene, wir hielten Lanzen in der Hand; zu meiner Zeit … Auf einmal mußte ich denken: Ist dies denn nicht meine Zeit?
Ich blickte auf meine Spangenschuhe und meine Spitzenmanschetten; seit 20 Jahren hatte ich das Gefühl, mich für ein Spiel herzugeben, und eines Tages beim zwölften Glockenschlag in der Mitternachtsstunde würde ich ins Reich der Schatten zurückkehren. Ich blickte auf die Pendule. Über dem vergoldeten Zifferblatt lächelte eine Schäferin aus Porzellan einem Schäfer zu; gleich würde der Zeiger auf Mitternacht zeigen. Morgen, übermorgen würde er Mitternacht zeigen, und ich würde immer noch da sein; es gab keine anderen Länder als diese Erde, auf der ich keinen Platz mehr fand. In Carmona und am Hofe Karls V. hatte ich mich zu Hause gefühlt, aber das war jetzt aus. Von nun an war die ganze Zeit, die sich unabsehbar vor mir
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