Alle Menschen sind sterblich
Menschen?»
Sie zögerte, ehe sie antwortete: «In diesem Augenblick nicht.»
«Regine!» sagte er. Seine Stimme hatte etwas Flehendes. «Glauben Sie, daß Sie mich werden lieben können?»
«Lassen Sie mir etwas Zeit», sagte sie. Sie schwieg und sah ihn aufmerksam an. «Ich weiß fast nichts von Ihnen. Sie müssen von sich erzählen.»
«Das ist nicht interessant», sagte er.
«Doch.» Sie fragte: «Haben Sie viele Frauen geliebt?»
«Einige schon», sagte er.
«Und wie waren sie?»
«Lassen wir die Vergangenheit ruhen, Regine», sagte er rauh. «Wenn ich wieder ein Mensch unter Menschen werden will, muß ich die Vergangenheit vergessen. Mein Leben fängt hier an, heute, neben Ihnen.»
«Ja», sagte sie, «Sie haben recht.»
Die junge Person mit den Platinhaaren ging auf die Bartür zu: ein Herr in reiferen Jahren folgte ihr; sie gingen zum Mittagessen. Das alltägliche Leben nahm seinen Fortgang in einer Welt, die sich widerstandslos den natürlichen Gesetzen unterwarf. Was tue ich? dachte Regine. Sie wußte nicht, was sie Fosca sagen sollte. Er hatte das Kinn auf die Faust gestützt und schien in eine hartnäckige Grübelei versunken.
«Sie müssen mir etwas zu tun geben», sagte er.
«Etwas zu tun?»
«Ja. Alle normalen Menschen haben etwas zu tun.»
«Was würde Sie denn interessieren?» fragte sie.
«Sie verstehen nicht richtig», sagte er. «Sie müssen mir sagen, was Sie interessiert und wobei ich Ihnen helfen könnte.»
«Sie können mir nicht helfen», sagte sie. «Sie können ja nicht statt meiner meine Rollen spielen.»
«Das allerdings nicht.» Er dachte von neuem nach. «Dann werde ich einen Beruf ergreifen.»
«Was für eine Idee», rief Regine aus. «Was können Sie überhaupt?»
«Wenig Nützliches», gab er lächelnd zurück.
«Haben Sie Geld?»
«Ich habe fast keines mehr.»
«Und Sie haben niemals gearbeitet?»
«Ich habe mal Sachen koloriert.»
«Damit kommt man nicht weit», meinte Regine.
«Ach, ich brauche auch gar nicht weit zu kommen.» Enttäuscht fügte er hinzu: «Ich hätte so gerne etwas für Sie getan.»
Sie berührte seine Hand: «Bleiben Sie bei mir, Fosca, sehen Sie mich an, und vergessen Sie nichts.»
Er lächelte. «Das ist leicht», sagte er, «ich habe ein gutes Gedächtnis.» Seine Miene wurde finster: «Ein zu gutes sogar.»
Sie drückte nervös seine Hand. Er sprach, und sie antwortete, als wäre alles wahr. Wenn es wirklich wahr ist, wird er sich immer an mich erinnern. Wenn es wahr ist, werde ich von einem Unsterblichen geliebt! Sie ließ ihre Augen durch den Barraum schweifen. Eine alltägliche Welt; Menschen ohne Geheimnis. Aber hatte sie nicht immer gewußt, daß sie anders war? Hatte sie sich nicht immer fremd unter ihnen gefühlt, für ein Geschick aufbehalten, das nicht das der anderen war? Von ihrer Kindheit an hatte sie auf der Stirn irgendein Zeichen getragen. Sie blickte Fosca an: Er ist es. Er ist mein Schicksal. Aus den Tiefen der Jahrhunderte ist er zu mir gekommen, und er wird die Erinnerung an mich bis zum Ende der Zeiten bewahren. Ihr Herz schlug heftiger. Und wenn alles nicht stimmt? Sie prüfte Foscas Hand mit dem Blick, seinen Hals, sein Gesicht. Zornig dachte sie wiederum: Bin ich so wie die andern? Brauche ich Beweise? – Wagen Sie! hatteer gesagt. Ja, sie wollte es wagen. Wenn es nur eine Täuschung war, ein Rausch, so lag in diesem Wahn mehr Größe als in der Wahrheit der Welt. Sie lächelte Fosca zu.
«Wissen Sie, was Sie tun sollten?» sagte sie. «Sie sollten Ihre Erinnerungen niederschreiben. Das müßte ein ungewöhnliches Buch werden.»
«Es gibt genug Bücher», sagte er.
«Aber dies würde anders als die anderen sein.»
«Alle Bücher sind anders.»
Sie beugte sich näher zu ihm: «Haben Sie nie zu schreiben versucht?»
Er lächelte: «In der Anstalt habe ich geschrieben. Zwanzig Jahre lang.»
«Sie müssen es mir zeigen.»
«Ich habe alles zerrissen.»
«Warum? Es war vielleicht fabelhaft!»
Er fing zu lachen an: «Ich habe zwanzig Jahre lang geschrieben. Und eines Tages habe ich gemerkt, daß es immer dasselbe Buch war.»
«Aber jetzt sind Sie ein anderer Mensch», sagte sie. «Versuchen Sie, wieder mit Schreiben anzufangen.»
Er blickte sie an, seine Miene hellte sich auf: «Wenn Sie es wünschen, will ich es tun», rief er fast hastig aus.
Sein Blick ruhte weiter auf ihr, und sie dachte: Er liebt mich. Ich werde von einem geliebt, der unsterblich ist. Sie lächelte; aber sie hatte keine Lust zu
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