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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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zuckte die Achseln. «Warum sich soviel Mühe machen um einen Mann, der die Leute anschaut, als ob sie Wolken wären! Er sieht sicher überhaupt nichts davon.»
    «Eben darum!» meinte Regine. «Er muß sehen lernen.»
    Annie wischte mit einem Schürzenzipfel ein Portweinglas aus und stellte es auf ein Tischchen. «Würde er weniger gut sehen, wenn Sie ihm Tannenholzmöbel gekauft hätten?»
    «Du verstehst das nicht», gab Regine zurück.
    «Ich verstehe sehr gut», sagte Annie. «Wenn Sie den Schreiner und die Maler bezahlt haben, bleibt Ihnen nicht ein Sou. Und von den vier alten Goldstücken, die er in der Tasche hat, werden Sie auch nicht leben können.»
    «Ach, fang doch nicht wieder an», sagte Regine.
    «Sie glauben doch nicht, daß er imstande ist, irgendwie Geld zu verdienen?»
    «Wenn du Angst hast, zu verhungern, kannst du ja gehen und dir eine Arbeit suchen», sagte Regine.
    «Wie böse Sie sind!» rief Annie aus.
    Regine zuckte statt jeder Antwort die Achseln; sie hatte nachgerechnet; wenn sie sich etwas einschränkten, würden sie ganz gut zu dreien leben können. Aber ein klein wenig bange war ihr auch zumute. Tag und Nacht wird er da sein.
    «Tu Portwein in die Karaffe», sagte sie. «Aber von dem alten.»
    «Wir haben nur noch eine Flasche davon.»
    «Nun, und?»
    «Und was wollen Sie Herrn Dulac und Herrn Laforêt anbieten?»
    «Tu den alten Portwein in die Karaffe», rief Regine ungeduldig aus.
    Sie zitterte. Ehe er noch schellte, hatte sie seinen Schritt auf der Treppe erkannt. Sie ging auf die Tür zu. Da stand er mit seinem weichen Hut und seinem Gabardinemantel, er hatte ein Köfferchen in der Hand, und wie jedesmal, wenn sie seinem Blick begegnete, dachte sie: Wen sieht er?
    «Kommen Sie herein», sagte sie. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn mitten in das Zimmer: «Würden Sie gern hier leben?»
    «Mit Ihnen überall», sagte er.
    Er lächelte beglückt und ein bißchen töricht. Sie nahm ihm den Koffer aus der Hand.
    «Aber hier ist nicht überall», sagte sie.
    Sie schwiegen beide einen Augenblick.
    «Ziehen Sie Ihren Mantel aus und setzen Sie sich hin», fügte sie dann hinzu. «Sie sind hier nicht zu Besuch.»
    Er zog den Mantel aus, blieb aber stehen. Mit etwas gewolltem Eifer blickte er sich um: «Haben Sie dies Zimmer eingerichtet?»
    «Aber gewiß.»
    «Haben Sie diese Sessel, alle die Sächelchen ausgesucht?»
    «Natürlich.»
    Er drehte sich langsam um sich selbst: «Jedes dieser Dingehat zu Ihnen gesprochen», sagte er. «Und Sie haben sie zusammengetragen, damit sie mir Ihre Geschichte erzählen.»
    «Und ich», fiel Regine etwas ungeduldig ein, «habe auch diese Oliven und diese Krabben ausgesucht. Ich habe die Chips mit eigenen Händen gemacht. Probieren Sie!»
    «Haben Sie manchmal Hunger?» fragte Annie.
    «O ja. Seitdem ich überhaupt wieder esse, habe ich auch Hunger.» Er lächelte. «Ich habe zu bestimmten Zeiten Hunger. Dreimal am Tage.»
    Er setzte sich und nahm eine Olive aus dem Schälchen.
    Regine goß ihm Portwein ein.
    «Das ist nicht der alte Portwein», sagte sie.
    «Nein», sagte Annie.
    Regine nahm das Glas und leerte es in den Kamin aus; dann ging sie an den Wandschrank und holte eine staubige Flasche hervor.
    «Können Sie», fragte Annie, «einen alten Portwein von einem Portwein unterscheiden, der vom Kolonialwarenhändler stammt?»
    «Ich weiß nicht», sagte Fosca in einem Ton der Entschuldigung.
    «Aha! Sehen Sie!» rief Annie aus.
    Regine neigte leicht die alte Flasche und füllte Foscas Glas: «Trinken Sie», sagte sie. Verächtlich blickte sie Annie an: «Wie geizig du bist! Ich hasse den Geiz!»
    «Ja?» sagte Fosca. «Warum?»
    «Warum?» fragte Regine. Sie lachte kurz auf. «Sind Sie etwa geizig?»
    «Ich war es jedenfalls einmal.»
    «Ich bin nicht geizig», sagte Annie gekränkt. «Aber ich finde es schade, Sachen zu verschwenden.»
    Fosca lächelte Annie zu: «Ich erinnere mich», sagte er. «Die Freude, jedes Ding, jede Sekunde, jede Bewegung an ihrem Platz zu wissen. Die Säcke mit Getreide standen imSpeicher aufgereiht: welches Gewicht hatte selbst noch das kleinste Korn!»
    Annie hörte mit einfältig geschmeichelter Miene zu, und Regine stieg das Blut in die Schläfen.
    «Ich verstehe die Habgier», sagte sie. «Aber nicht den Geiz. Man kann leidenschaftlich nach den Dingen verlangen, aber sobald man sie besitzt, muß man darüber stehen.»
    «Oh! Sie stehen aber gar nicht darüber!» rief Annie aus.
    «Ich?» sagte Regine. «Dann

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