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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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uns beiden. Weiter denken wir lieber nicht.»
     
    Regine bog in die Straße zu ihrer Rechten ein. Es war nicht eigentlich ihr Weg, aber sie liebte diese Gasse mit den schwarzen Wassergräben, deren Seitenwände mit Balken abgestützt waren; sie liebte diese feuchtwarme Frühlingsnacht und den riesigen Mond, der am Himmel lachte. Annie war jetzt im Bett, sie wartete auf Regines Kuß, um einschlafen zu können; Fosca schrieb; von Zeit zu Zeit blickten sie sicher auf die Uhr an der Wand und dachten, daß Regine jetzt hätte vom Theater zu Hause sein müssen; aber sie wollte noch ein wenig in diesen Straßen spazierengehen, die sie liebte und durch die sie eines Tages nicht mehr wandeln würde.
    Noch einmal bog sie rechts ein. So viele Männer, so viele Frauen hatten mit gleicher Leidenschaftlichkeit die Süße der Frühlingsnächte gespürt, und nun war die Welt für sie ausgelöscht! Gab es wirklich kein Mittel gegen den Tod? Konnte man sie nicht für eine Stunde wieder auferwecken? Ich habe meinen Namen vergessen, meine Vergangenheit, mein Gesicht: nur der Himmel ist da und der feuchte Wind, und die vage Bitterkeit in dieser Abendsüße; ich bin es nicht, und nicht sie; sie sind es so gut wie ich.
    Regine wendete sich links. Ich bin es. Der gleiche Mond am Himmel, doch in jedem Herzen besteht er für sich, unteilbar mit anderen. Fosca wird durch die Straßen gehen und an mich denken, aber ich werde es nicht sein. Ach! Warum kann man nicht die durchsichtige, harte Schale zerbrechen, die jeden für sich umschließt? Ein einziger Mond in einem einzigen Herzen: in welchem? In Foscas Herzen oder in dem meinen? Ich würde nicht ich mehr sein. Um alles zu gewinnen, müßte man alles verlieren. Wer hat dies Gesetz gemacht?
    Sie durchschritt den Toreingang und den Hof des alten Hauses, Annies Fenster war hell, hinter keinem anderen mehr war Licht. Ob denn Fosca schon schläft? Rasch stieg siedie Treppe hinauf und steckte geräuschlos den Schlüssel in die Tür. Hinter Annies Zimmertür hörte man Lachen: ihre und Foscas Stimme. Das Blut stieg Regine in die Wangen, und es war ihr, als ob sich Krallen in ihre Kehle schlügen: lange schon hatte sie keinen solchen Riß im Innern gespürt. Mit leisen Schritten trat sie ganz nahe heran.
    «Und alle Abende», sagte Annie, «habe ich mich oben auf die Galerie gesetzt. Ich konnte einfach die Idee nicht ertragen, daß sie für andere spielte und ich es nicht sehen könnte.»
    Regine zuckte die Achseln. Jetzt erzählt sie ihre Kümmernisse, dachte sie ärgerlich. Sie klopfte und öffnete die Tür. Annie und Fosca saßen vor einem Teller mit Crêpes und zwei Gläsern mit Weißwein; Annie hatte ihr weinbeerfarbenes Nachmittagskleid angezogen und Ohrringe angelegt; sie war so animiert, daß ihre Wangen glühten. Das ist wie eine Parodie, dachte Regine mit einem Anflug von Zorn.
    «Ihr seid ja sehr vergnügt», sagte sie mit eisiger Stimme.
    «Sehen Sie nur, Reginchen, was für schöne Crêpes wir gemacht haben. Er ist ganz geschickt, müssen Sie wissen; er hat sie gewendet, ohne auch nur eine neben die Pfanne zu werfen.» Sie hielt lächelnd Regine den Teller hin: «Sie sind noch warm.»
    «Danke, ich habe keinen Hunger», sagte Regine.
    Sie blickte sie haßerfüllt an. Gibt es denn kein Mittel, sie daran zu hindern, daß sie ohne mich weiterexistieren? Wie können sie es nur wagen? Eine Unverschämtheit! dachte sie. Es gab Augenblicke, in denen man stolz auf dem Gipfel eines einsam ragenden Berges stand, man umfing mit dem Blick eine Oberfläche, die völlig nivelliert war, ohne Erhebungen, und auf der nur Linien und Farben eine Landschaft ergaben. Und in anderen befand man sich tief am Boden und mußte die Beobachtung machen, daß jedes einzelne Stück für sichselbst existierte mit seinen Höhlungen, seinen Buckeln und kleinen Aussichtspunkten. Da erzählte Annie Fosca ihre Erinnerungen, und Fosca hörte ihr zu!
    «Wovon habt ihr denn gesprochen?»
    «Ich habe Fosca erzählt, wie ich Ihre Bekanntschaft gemacht habe.»
    «Wieder mal?» meinte Regine.
    Sie trank einen Schluck Wein. Die Crêpes kamen ihr warm und appetitlich vor, sie hatte Lust, davon zu essen, und das ärgerte sie erst recht.
    «Ja, das ist ihre klassische Tirade. Die muß sie allen meinen Freunden vordeklamieren. Übrigens ist an der Geschichte gar nichts Besonderes dran. Annie neigt zur Romantik; man darf ihr nicht alles glauben, was sie sich ausgedacht hat.»
    Annie kamen die Tränen in die Augen. Aber Regine tat, als

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