Alle Menschen sind sterblich
Sie gefahren?»
«Sie haben heut früh zu Annie gesagt, die Fenster müßten geputzt werden.» Mit einem Lappen in der Hand kletterte er von der Leiter herab. «Habe ich das nicht fein gemacht?»
«Sie sollten mich um vier Uhr im Pleyelsaal treffen. Haben Sie das vergessen?»
«Ja. Ich habe es vergessen!» brachte er verlegen hervor. Er wand den Lappen über dem Eimer aus. «Ich war so schön bei der Arbeit: da habe ich alles vergessen.»
«Jetzt haben wir das Konzert versäumt», stieß Regine erregt hervor.
«Es gibt ja wieder andere», meinte Fosca.
Sie zuckte die Achseln: «Dies wollte ich aber gerade hören.»
«Gerade das?»
«Gerade das.»
Dann fügte sie hinzu: «Ziehen Sie sich um. Sie können doch nicht in diesem Aufzug bleiben.»
«Ich hätte so gern auch noch die Zimmerdecken geputzt. Die sind auch nicht mehr sauber.»
«Was ist denn das für eine verrückte Idee?» fragte Regine.
«Ich wollte Ihnen einen Gefallen tun.»
«Diese Art von Gefallen brauche ich nicht.»
Fosca ging gehorsam in sein Zimmer, und Regine zündete sich eine Zigarette an: Er hat mich vergessen, dachte sie; einzig ich existierte für ihn, und nun vergißt er mich; hat er sich so schnell verändert? Was geht in seinem Kopf vor? Sie ging im Zimmer auf und ab. Sie fühlte sich innerlich beunruhigt. Als Fosca wieder das Studio betrat, rief sie ihm lachend zu:
«Hausarbeit macht Ihnen also Spaß?»
«Ja. Als ich in der Anstalt die Schlafräume kehren durfte, fühlte ich mich sehr glücklich.»
«Aber warum eigentlich?»
«Man ist beschäftigt damit.»
«Es gibt doch andere Beschäftigungen», sagte sie.
Er warf noch einen Blick des Bedauerns nach der Zimmerdecke.
«Es ist dringend nötig», sagte er, «daß Sie eine Beschäftigung für mich finden.»
Regine erschauerte: «Langweilen Sie sich denn so sehr?»
«Man muß mir etwas zu tun geben.»
«Ich habe Ihnen etwas vorgeschlagen …»
«Ich möchte lieber eine Arbeit, bei der ich nicht denken muß.»
Sein Blick glitt beinahe zärtlich über die blankgeputzten Fensterscheiben hin.
«Sie wollen ja wohl nicht Fensterputzer werden?» fragte sie.
«Warum nicht?»
Sie machte schweigend ein paar Schritte durch das Zimmer. Warum tatsächlich nicht? Was wußte er schon mit sich anzufangen?
«Wenn Sie eine feste Tätigkeit hätten, wären wir den ganzen Tag getrennt.»
«So leben halt die Leute», sagte er. «Sie sind getrennt und kommen wieder zusammen.»
«Aber wir sind doch nicht wie die anderen», sagte sie.
Foscas Miene verdüsterte sich. «Sie haben recht», sagte er. «Ich kann machen, was ich will. Ich werde niemals wie die anderen sein.»
Regine sah ihn mit Unbehagen an. Sie liebte ihn, weil er unsterblich war, und er liebte sie in der Hoffnung, zu werden wie ein Sterblicher. Wir werden niemals ein Paar sein, dachte sie.
«Sie machen gar keinen Versuch, sich für Ihre Zeit zu interessieren», sagte sie. «Lesen Sie, gehen Sie Bilder anschauen, begleiten Sie mich ins Konzert.»
«Das führt zu nichts», sagte er.
Sie legte ihm die Hände auf die Schultern: «Genüge ich Ihnen nicht mehr?»
«Ich kann nicht an Ihrer Stelle leben.»
«Vordem sahen Sie mich an und sagten, das sei Ihnen genug …»
«Wenn man lebt, genügt einem bloßes Ansehen nicht.»
Sie dachte einen Augenblick nach: «Studieren Sie doch irgend etwas, dann können Sie einen interessanten Beruf ergreifen. Werden Sie Ingenieur oder Arzt.»
«Nein! Das dauert zu lange.»
«Zu lange? Haben Sie keine Zeit?»
«Ich muß gleich etwas zu tun haben», sagte er. «Man darf mich nicht zwingen, erst selber darüber nachzudenken.» Er blickte Regine flehend an: «Befehlen Sie mir doch, Kartoffeln zu schälen oder Leintücher zu waschen …»
«Nein», sagte sie.
«Warum nicht?»
«Das wäre eine Art, Sie wieder einzuschläfern, und ich möchte, daß Sie wach bleiben», sagte sie. Sie faßte ihn bei der Hand. «Kommen Sie, machen wir einen Spaziergang.»
Er ging gefügig hinter ihr her, aber auf der Türschwelle blieb er noch einmal stehen.
«Die Zimmerdecke hätte aber doch eine Reinigung nötig», meinte er bedauernd.
«Da sind wir!» sagte Regine.
«Schon?» meinte Fosca.
«Aber ja; so ein Zug geht schnell; schneller als die Postkutsche.»
«Ich möchte nur wissen, was die Menschen mit all der Zeit anfangen, die sie gewinnen», sagte er.
«Jedenfalls müssen Sie zugeben, daß sie eine Menge erfunden haben seit hundert Jahren.»
«Oh, sie erfinden immer dasselbe.»
Er
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