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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sieh nur bitte her!»
    Sie nahm die Flasche und goß ihren Inhalt in den Kamin.
    Annie lachte spröde: «Natürlich! Den Portwein! Aber als ich damals eine von Ihren scheußlichen Masken zerbrochen hatte, was habe ich da zu hören bekommen!»
    Fosca sah den beiden mit Interesse zu.
    «Weil du es warst, die sie zerbrochen hat!» rief Regine aus. Ihre Stimme zitterte vor Zorn. «Aber ich kann sie alle entzweischlagen, auf der Stelle!» Sie nahm eine der Masken von der Wand.
    Fosca war aufgestanden, trat zu ihr und faßte sie sanft am Handgelenk: «Wozu?» sagte er. Er lächelte. «Ich habe auch das kennengelernt: die Leidenschaft, zu zerstören.»
    Regine atmete tief; ihre Züge glätteten sich: «Für Sie ist es also weder besser noch schlechter, ob man so oder so ist?»
    «Warum soll es gut oder schlecht sein?»
    «Wenn ich geizig wäre oder feige, gefiele ich Ihnen ebensogut?»
    «Sie gefallen mir so, wie Sie sind.»
    Er lächelte auf eine sanfte, freundliche Art, aber Regine war die Kehle wie zugeschnürt. Legte er keinen, gar keinen Wert auf die Tugenden, auf die sie selbst so stolz war?
    Unvermittelt stand sie auf: «Sehen Sie sich Ihr Zimmer an.»
    Fosca folgte ihr. Schweigend und prüfend sah er sich um; aus seinen Zügen war nichts zu entnehmen.
    Regine wies auf einen Tisch, auf dem ein Stoß weißer Blätter lag: «Dort werden Sie arbeiten», sagte sie.
    «Was soll ich arbeiten?»
    «Haben wir nicht ausgemacht, daß Sie wieder zu schreiben anfangen?»
    «Haben wir das ausgemacht?» fragte er harmlos zurück. Er strich liebkosend über die rote Briefmappe, das jungfräuliche Papier. «Ich habe gern geschrieben. Das wird mir die Zeit vertreiben, während ich auf Sie warte.»
    «Man soll nicht nur zum Zeitvertreib schreiben.»
    «Nein?»
    «Sie haben doch einmal den Wunsch geäußert, ich solle Ihnen etwas zu tun geben, etwas, was Sie für mich tun könnten.»
    Er blickte eifrig zu ihr auf.
    «Versuchen Sie, ein schönes Stück zu schreiben, das ich dann spielen werde.»
    Mit ratloser Miene befühlte er das Papier: «Ein Stück, das Sie spielen könnten?»
    «Wer weiß? Sie bringen vielleicht ein Meisterwerk zustande. Das würde dann Ruhm bedeuten für Sie so gut wie für mich.»
    «Ist denn Ruhm so wichtig für Sie?»
    «Nichts anderes zählt für mich», sagte sie.
    Er blickte sie an und riß sie plötzlich heftig in seine Arme: «Warum sollte ich nicht tun können, was sterbliche Menschen vermochten?» rief er fast zornig aus. «Ich werde Ihnen helfen. Ich will.» Er preßte sie wütend an sich. In seinen Augen war Liebe und etwas, was eher wie Mitleid war.
     
    Regine glitt durch die Menge hindurch, die schwatzend in der Halle des Theaters herumstand.
    «Flora hat uns eingeladen, bei ihr Sekt zu trinken, aber Sie legen keinen Wert darauf, nicht wahr?»
    «Nein.»
    «Ich auch nicht.»
    Sie trug ein neues Schneiderkostüm, sie fühlte sich schön darin, aber sie hatte keine Lust, vor den Eintagsmännern zu paradieren.
    «Wie fanden Sie Flora heute?» forschte sie besorgt.
    «Ich habe nichts bei ihrem Spiel empfunden», sagte Fosca.
    Sie strahlte: «Nicht wahr? Sie packt einen nicht.»
    Als sie die stickige Halle verließen, sog sie mit Entzücken die milde Luft der Straße ein; es war ein schöner Februartag, der schon den Frühling verhieß.
    «Ich habe Durst.»
    «Ich auch», sagte Fosca. «Wohin gehen wir?»
    Sie dachte nach; sie hatte ihm die kleine Bar auf dem Montmartre gezeigt, wo sie Annies Bekanntschaft gemacht hatte, und das Boulevard-Café, wo sie immer vor den Kursen bei Berthier rasch ein Sandwich verzehrt hatte, und den Winkel in Montparnasse, wo sie zu der Zeit lebte, als sie ihre erste Rolle spielte. Sie dachte an das Restaurant am Seineufer, das sie ein paar Tage nach ihrer Ankunft in Paris entdeckt hatte.
    «Ich kenne einen sehr netten Platz nach Bercy zu.»
    «Also gehen wir dorthin», sagte er.
    Er gab immer gefällig nach. Sie winkte ein Taxi heran, und er legte seinen Arm um ihre Schultern. Er sah jung aus in dem gut geschnittenen Anzug, den sie für ihn ausgesucht hatte; er wirkte nicht mehr wie verkleidet: ein Mann wie alle Männer. Er aß, er trank jetzt, er schlief, er liebte, er sah und hörte wie ein Mensch. Nur augenblicksweise erschien auf dem Grund seiner Augen ein beunruhigender Schimmer. Das Taxi hielt.
    «Waren Sie schon einmal hier?» fragte sie.
    «Vielleicht», sagte er. «Es ist alles so anders jetzt. Früher war das hier noch gar nicht Paris.»
    Sie traten in eine Art von

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