Alle Menschen sind sterblich
zum Ersticken, und wir hatten noch nicht einen Fußbreit Boden gewonnen; mitten am Nachmittag war unter den Hufen unserer Pferde nur welkes gelbes Gras, und die Luft, die wir atmeten, war dicht mit Staub erfüllt. Meine Leute stillten ihren Durst in Eile zwischen den Kämpfen, aber kein Tropfen Wasser war über die Lippen unserer Feinde gekommen. Durch das Klirren der Waffen und das Stampfen der Pferde hindurch vernahmen wir das Rauschen der Wasser, die 500 Fuß unterhalb von uns flossen. Schließlich widerstanden Taglianas Soldaten der Versuchung nicht länger; sie näherten sich dem Fluß und durchbrachen ihren Befehl. Da warfen wir uns auf sie mit großem Ungestüm, und eine große Zahl von ihnen wurde in die Fluten gedrängt. Der Rest entzog sich in ungeordneter Flucht, und 500 Gefangene blieben in meiner Hand.
Ich wollte diesen Sieg durch Feste feiern, die eines Kriegervolkes würdig wären. Nach Carmona zurückgekehrt, veranstaltete ich ein gewaltiges Turnier zwischen Ober- und Unterstadt. Am Morgen kämpften die Kinder, sodann Jünglinge während dreier Stunden auf dem größten Platz der Stadt. Am Nachmittag fand ein Treffen der erwachsenen Männer statt. Nur in leichter Bewaffnung schleuderten sie sich Steine zu und versuchten sie mit einem großen Mantel von sich abzuwenden, den sie um den linken Arm gewickelt trugen; die von der Oberstadt hatten grüne Mäntel, die von der Unterstadt rote. Darauf traten zwei schwerer gerüstete Reihen von Kämpfern auf den Plan. Die Krieger trugen am Leibe richtige Panzer aus Eisen, aber darüber Kissen, die mit Werg und Watte ausgestopft waren, um die Schläge zu dämpfen. Jeder hielt in der rechten Hand eine eiserne Lanze und in der linken einen Schild. Wer siegen wollte, mußte die Mitte des Platzes besetzen. Eine ungeheure Menge drängte sich rings um die Kampfbahn; an allen Fenstern erschienen Gesichter lächelnder Frauen. Mit Gebärde und Zuruf ermutigten die Zuschauer ihre Angehörigen, Freunde und Nachbarn; sie riefen: «Vivat für die Grünen!» und «Vivat für die Roten!» Ich hatte weder Freunde noch Verwandte, noch Nachbarn. Unter einem Baldachin aus Samt sah ich den Spielen gleichmütig zu und leerte dabei Krüge voll Wein.
«Ich trinke auf Rivellos Wohl und Genuas Untergang!» rief ich, den Becher hebend.
Sie hoben auch ihre Becher auf, und gefügige Stimmen sprachen mir wie ein Echo nach: «Auf das Glück von Rivello!» Aber Palombo, der Zunftmeister der Tuchmacher von Carmona, blieb unbeweglich sitzen und starrte auf seinen Becher.
«Warum trinkst du nicht?» fragte ich.
Er blickte zu mir auf. «Ich weiß aus sicherer Quelle, daß die Florentiner Kaufleute, die zur Zeit in Rivello sind, Befehlbekommen haben, ihre Geschäfte bis zum 1. November abzuwickeln.»
«Und was schließt du daraus?»
«An diesem Tag verlassen sie die Stadt; sie werden sich in Sismona, in den Maremmen von Evisa, niederlassen.»
Rund um den Tisch herum herrschte tiefes Schweigen.
«Zum Teufel mit den florentinischen Kaufleuten», sagte ich.
«Alle anderen Kaufleute werden ihnen folgen», setzte Palombo hinzu.
«Dann sollen sich Evisa und Sismona hüten.»
«Florenz wird sie stützen», sagte er.
Sie blickten alle auf mich; ich las in ihren Augen: man muß die Florentiner von der Abgabe befreien. Aber war ich Sieger, um jetzt dem Rat von Greisen zu folgen? War ich Sieger, um mich vor Florenz zu beugen?
«Nieder mit Florenz!» sagte ich.
Ich wandte mich meinen Hauptleuten zu und hob mein Glas an die Lippen. «Ich trinke auf unseren Sieg über Florenz.»
«Auf den Sieg über Florenz», riefen sie im Chor.
Der Beifall von Bentivoglio und Puzzini schien mir etwas lahm; ein hinterhältiges Lächeln zuckte um Orsinis Mund. Ich nahm eine Weinkaraffe und schleuderte sie auf den Boden.
«So werde ich es auch mit Florenz machen», sagte ich.
Sie sahen mir ohne Begeisterung zu; der Krieg war nun beendet, wir feierten den Sieg; mehr verlangten sie nicht. Ich aber wollte meinen Sieg greifbar in Händen halten. Denn wo war er denn? Vergebens suchte ich auf allen diesen Gesichtern nach einer Erinnerung an den Eifer des Kampfnachmittags, an den Geruch von Staub und von Schweiß, das schwere Lasten der Sonne auf den stählernen Panzern. Sie ergingen sich in Späßen und ihren Alltagssorgen; ichhatte keine Lust mehr, ihren Reden zu lauschen. Ich erhob mich und riß meinen Hemdkragen auf, der mich am Hals beengte. Das Blut strömte mir zum Kopf und wogte in meiner Brust; mein
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