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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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großen, verlassenen Paläste ein Tanzgelage zu halten; sie kreuzten unsere Schritte, lachten, einer rief: «Teufelssohn!»
    Ruggiero machte eine Bewegung.
    «Laß doch, laß doch», sagte ich.
    Ich sah die starken Nacken der Träger, ihre groben Hände an dem Holz des Sarges. «Teufelssohn!», und sie spien aus. Doch ihre Worte und Gesten hatten keine Bedeutung: sie waren alle dem Tode geweiht. Die einen flüchteten, die anderen beteten, die dritten tanzten lieber; und alle mußten sie sterben.
    Wir kamen auf dem Friedhof an. Vier Särge waren es jetzt hinter Caterinas Sarg. Aus allen Straßen stiegen Trauergefolge zu der geweihten Stätte empor; ein Karren mit einer Plane darüber kam aus einem Torweg und hielt neben einem Massengrab, in dem sich die Leichen häuften! Auf den mit Unkraut bedeckten Wegen schob sich eine Menge von Priestern und Totengräbern einher; man hörte das Geräusch von Schaufeln und von Hacken: alles Leben Carmonas hatte sich hierher geflüchtet, an diese Stätte des Todes. Caterinas Grab war am Fuße einer Zypresse ausgehoben. Die Träger ließen den Sarg in die Tiefe gleiten und warfen ein paar Schaufeln voll Erde auf die Decke. Der Priester machte das Zeichen des Kreuzes und trat an ein anderes Grab.
    Ich hob den Kopf, und der Friedhofsgeruch drang tief in meine Lunge. Ich hielt die Hand vor den Mund und ging dem Ausgang zu. Ein Karren fuhr langsam die Straße hinauf, und die Leute warfen die Leichen hinein, die am Fuße der Häuser lagen. Ich blieb stehen. Wozu hinaufgehen in den Palast? In dem Palast war niemand. Wo war sie? Unter der Zypresse lag eine alte Frau mit einem bösen Gesicht, und im Himmel schwebte eine Seele umher, gesichtslos, taub, stumm wie Gott.
    «Komm, Herr», sagte Ruggiero.
    Ich folgte ihm. Vor dem Palast predigte auf einem der Holzgestelle, das von den Kaufleuten verlassen war, der dunkelgesichtige Mönch mit weiten, flatternden Ärmeln. Seit dem Beginn der Pest war er wiederum in der Stadt; ich wagte nicht, ihn zu verjagen. Das Volk hörte ihm mit Andacht zu; mir waren zu wenige von meinen Wachen geblieben, um ihm Trotz zu bieten durch ein Sakrileg. Er erkannte mich und rief mir mit schneidender Stimme zu:
    «Graf Fosca! Verstehst du jetzt?»
    Ich gab keine Antwort.
    «Du hast neue Häuser für die Männer von Carmona gebaut, nun ruhen sie in der Erde; du hast sie bekleidet mit schönem Tuch, und nun liegen sie nackt in ihren Leichentüchern; du hast sie ernährt, nun sind sie selbst den Würmern zum Fraße gegeben. Auf den Feldern verkommen unter den Hufen der Herden, die keinen Hirten mehr haben, die Ernten, deren keiner mehr bedarf. Du hast die Hungersnot besiegt. Doch Gott hat die Pest gesandt, und die Pest ist stärker als du.»
    «Das beweist nur, daß man lernen muß, auch die Pest zu besiegen», rief ich zornig aus.
    Ich trat durch die Tür des Palastes ein und blieb verwundert stehen. An eines der Fenster gelehnt, schien Tankred auf mich zu warten. Ich trat auf ihn zu.
    «Hat man wohl je einen solchen Feigling gesehen wiedich?» sagte ich. «Ein Sohn, der nicht wagt, seine Mutter zu ihrer letzten Ruhestatt zu geleiten!»
    «Ich werde meinen Mut auf andere Art beweisen», gab er hochfahrend zurück. Er vertrat mir den Weg. «Warte.»
    «Was willst du von mir?»
    «Solange meine Mutter lebte, habe ich Geduld geübt. Aber nun ist es genug.» Er blickte mich drohend an. «Du hast lange genug regiert. Jetzt bin ich an der Reihe.»
    «Nein», sagte ich. «Du wirst niemals an der Reihe sein.»
    «Ich bin an der Reihe», gab er heftig zurück.
    Er zog sein Schwert und traf mich mitten in die Brust. Zehn Verschwörer tauchten aus dem Nachbarraum auf und riefen: «Nieder mit dem Tyrannen!» Ruggiero warf sich vor mich. Er fiel. Ich schlug zu, und Tankred fiel. Ich fühlte einen heftigen Schmerz zwischen den Schulterblättern; ich wandte mich um und schlug zu. Als die Verschwörer Tankred am Boden sahen, flohen einige von ihnen, und bald eilten auch Bewaffnete herbei. Drei Männer lagen auf den steinernen Fliesen. Die anderen wurden überwältigt nach kurzem Handgemenge.
    Ich kniete neben Ruggiero nieder. Er schaute mit erschrecktem Blick zur Zimmerdecke empor. Sein Herz schlug nicht mehr. Tankred lag daneben mit geschlossenen Augen. Er war tot.
    «Ihr seid verwundet, Herr», sagte einer der Wachen.
    «Es ist nichts.»
    Ich stand auf und schob die Hand unter mein Hemd. Ich zog sie heraus: sie war voll Blut. Ich sah das Blut und fing zu lachen an. Dann trat ich an

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