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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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schwere Bombarden, die gegen bewegliche Gruppen zwar nichts ausrichten konnten, aber ein wirksames Kriegsgerät waren gegen steinerne Mauern. Ich forderte Pergola zunächst auf, sich freiwillig zu ergeben; meine Soldaten sandten Pfeile über die Mauern, an denen Botschaften steckten,worin wir der Stadt mit Zerstörung drohten, wenn sie nicht gewillt sein sollte, uns ihre Tore zu öffnen. Aber die Einwohner, die sich hinter den Zinnen zusammengerottet hatten, antworteten darauf mit Haß- und Hohngeschrei. Darauf verteilte ich auf die Tore der Stadt vier Heerhaufen und ließ die Bodenerhebungen zwischen ihnen abtragen, damit sie untereinander leicht in Verbindung treten könnten. Dann befahl ich, die neuen Bombarden auffahren zu lassen; die Soldaten betrachteten diese Geräte zunächst mit ungläubigen Blicken; die ersten Kugeln trafen die Mauern, ohne sie zu erschüttern. Von der Höhe des Wachtturms schleuderten die Pergoleser uns Beleidigungen zu und sangen höhnische Lieder. Aber ich ließ nicht ab. Meine Ingenieure brachten ein wahres Wunder zustande. Jede Wurfmaschine schleuderte 6o Kugeln im Laufe einer einzigen Nacht. Dreißig Tage lang wurden die Mauern zusammengeschossen; allmählich sanken die Türme dahin, und die Befestigungsstücke, die sie verbanden, brachen auseinander; die Trümmer füllten die Gräben an, so daß die Mauerlücken für uns zugänglich wurden. Die Belagerten hatten sich von den Mauern zurückgezogen, man hörte weder Lieder noch freche Zurufe mehr. In der letzten Nacht, da die Kugeln das schwankende Gemäuer vollends zusammenschlugen, lag eisiges Schweigen über der Stadt. Im Morgengrauen sahen wir, daß in der Mauer nun eine riesige Bresche klaffte; da gab ich meinen Leuten das Zeichen, einzudringen. Sie stürzten sich mit Freudenschreien vor; Genua war vergessen und alle Reize des Friedens; wir hatten eine Heldentat ohnegleichen vollbracht: zum erstenmal hatten die Wurfmaschinen mächtige Wälle niedergelegt; zum erstenmal drang eine Armee mit Gewalt in eine befestigte Stadt.
    Als erster ging ich über die Bresche vor; mit Staunen sahen wir, daß hinter den Mauern uns niemand erwartete; die Straßen waren verlassen; ich fürchtete einen Hinterhalt undhielt mich etwas zurück; durch die Stille bedrückt, schwiegen meine Soldaten; wir hoben unsere Augen zu den Dächern und Fenstern auf, doch kein Mensch war zu sehen. Die Fenster der Häuser waren geschlossen, die Türen standen auf. Vorsichtig wagten wir uns voran; kein Geräusch war zu hören; an jeder Straßenecke richteten meine Leute die Armbrust auf die Dächer und spähten nach rechts und links voller Furcht, aber kein Stein, kein Pfeil kam durch die Luft herab. Wir kamen auf dem Marktplatz an: auch er war völlig leer.
    «Wir müssen die Häuser durchsuchen», sagte ich.
    Die Soldaten entfernten sich in kleinen Gruppen. Von einigen Wachen gefolgt, trat ich in den Palast des Statthalters ein; die Stufen des Treppenhauses, die Wände waren kahl. In den Sälen standen die Möbel alle an ihrem Platz, aber kein Teppich, kein Wandbehang, kein Bild, kein Schmuckstück war da; die Linnen- und Silbertruhen waren vollkommen geleert, erst recht die Edelsteinschreine. Als ich den Palast verließ, wurde mir berichtet, man habe an der Mincia Schlafpolster und kupferne Kochgeschirre gefunden. Die Einwohner hatten sich im Schutze der Nacht auf dem Fluß eingeschifft und, während wir sie noch auf den Wällen glaubten, mit allen ihren Schätzen das Weichbild der Stadt verlassen.
    Ich blieb unbeweglich inmitten des Platzes stehen, und die Soldaten standen ebenso starr und schweigend um mich her. In den verlassenen Häusern fanden sie nichts zu plündern als rostiges Eisenwerk; der Boden der Wirtshäuser war mit Wein befleckt: die Schläuche waren ausgeleert; in den riesigen Kaminen hatte man Säcke voll Mehl, Brot und gewaltige Stücke Fleisch vollkommen zu Asche verbrannt. Wir hatten eine Stadt zu erobern geglaubt, und nun war uns nur ein Gerippe von Stein in die Hände gefallen.
    Gegen Mittag brachte einer meiner Leute eine Frau herbei,die die Soldaten in einem Haus der Vorstadt gefunden hatten; sie war klein und mit schweren Flechten geschmückt, die sie um ihren Kopf gelegt hatte; in ihren Augen war weder Furcht noch Trotz.
    «Warum bist du nicht fortgegangen mit den anderen?» fragte ich.
    «Mein Mann ist krank, er konnte nicht mit.»
    «Und warum sind die anderen fort?» herrschte ich sie an. «Glaubt ihr, wenn ich eine Stadt erobere, lasse

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