Alle Menschen sind sterblich
schien mir die Zeit, da jedes Getreidekorn so schwer wog in meiner Hand!
Plötzlich blieb ich stehen; hinter einem Zaun, an dem die Hühner pickten, stand eine Frau über einen Zuber gebückt, in dem sie Wäsche wusch, und unter einem Mandelbaum saß ein ganz kleines Mädchen und lachte vergnügt vor sich hin; der Boden war mit weißen Blütenblättern bedeckt, das Kind zerdrückte die Blütenblätter in seiner winzigen Hand und führte sie gierig zum Mund; es hatte ein braunes Gesicht und große dunkle Augen; ich dachte: das ist nun das erste Mal, daß diese Kinderaugen Mandelblüten sehen.
«Ein schönes kleines Mädchen», sagte ich. «Gehört es Euch?»
Die Frau hob den Kopf: «Ja, nur zu mager.»
«Man muß sie besser füttern», sagte ich und warf dem kleinen Mädchen einen Beutel mit Geld in den Schoß.
Die Frau sah mich voller Mißtrauen an, und ich entfernte mich, ohne daß sie mir auch nur zugelächelt hätte; das kleine Mädchen lächelte, aber nicht für mich; es brauchte mich nicht, um zu lächeln. Ich hob den Kopf. Der Himmel zeigte ein ganz neues Blau, die blühenden Bäume schimmerten wie an jenem Tag, als ich Sigismund auf meiner Schulter trug. In den Augen eines Kindes war die Welt im Begriff, wieder neu zu erstehen. Auf einmal fuhr es mir durch den Sinn: Ich will ein Kind, ein eigenes Kind.
Zehn Monate später gab Laura einem schönen, kräftigen Knaben das Leben; ich verbannte ihn sofort in ein Schloß bei Villana: ich wollte meinen Sohn mit niemand anderem teilen.
Noch während die Ammen ihn säugten, bereitete ich mit Leidenschaft Antonios Zukunft vor. Zunächst befestigte ich den Frieden, ich wollte nicht, daß er jemals das eitle Blutvergießen des Krieges kennenlernte. Seit langem verlangte Florenz den Hafen Livorno von mir zurück: ich willigte in die Abtretung ein. Ein Aufstand war in Rivello, der Fürst flehte mich um Beistand an und erbot sich dafür, die Stadt unter meine Oberhoheit zu stellen, aber ich lehnte ab.
Auf einem Hügel gegenüber von Carmona wurde eine Marmorvilla erbaut, und Gärten wurden angelegt; ich zog Künstler und Gelehrte an meinen Hof, ich sammelte Bilder und Statuen, eine umfangreiche Bibliothek; die hervorragendsten Männer der Zeit wurden mit der Erziehung meines Sohnes betraut; ich wohnte den Unterrichtsstunden bei und machte selber meinen Sohn in allen Übungen des Leibes geschickt. Antonio war ein schönes Kind, etwas zu schmächtig für meinen Geschmack, aber doch kräftig dabei. Mit sieben Jahren konnte er Italienisch, Latein und Französisch lesen und schreiben. Er schwamm und schoß mit dem Bogen, und er war imstande, ein kleines Pferd zu meistern.
Ich fand, er müsse bei Arbeit und Spiel Kameraden haben; ich holte die schönsten und begabtesten Kinder für ihn herbei, die in Carmona waren. Unter anderen ließ ich im Palast das kleine Mädchen mit den Mandelblüten erziehen; sie hieß Beatrice; auch als sie größer wurde, behielt sie ihr mageres dunkles Gesichtchen und ihr Lächeln bei; sie spielte mit Antonio wie ein zweiter Bub, und von allen Gespielen war sie ihm die liebste.
Eines Nachts wurde es mir zu langweilig in meinem Bett – es kam in jener Zeit öfter vor, daß ich mich langweilte, selbst im Traum –, und ich ging in den Garten hinab. Es war eine Nacht ohne Mondschein, duftend und warm, und von Zeit zu Zeit fielen Sternschnuppen nieder; ich machte ein paar Schritte auf den Wegen des Parks, und da sah ich die beidenan den Händen gefaßt über den Rasen gehen; ihre langen Nachthemden waren mit Blumengirlanden geschmückt; Beatrice hatte Winden im Haar, und eine schwere Magnolienblüte drückte sie ans Herz. Als sie mich bemerkten, blieben sie wie gebannt stehen.
«Was macht ihr denn hier?» fragte ich.
Mit ihrem klaren Stimmchen sagte Beatrice: «Wir gehen nur spazieren.»
«Geht ihr öfter spazieren um diese Zeit?»
«Er zum erstenmal.»
«Und du?»
«Ich?» Sie blickte mir kühn ins Gesicht. «Ich steige jede Nacht durchs Fenster und gehe im Park umher.»
Da standen sie beide vor mir, schuldbewußt und winzig in ihren blumengeschmückten Kleidchen, die ihre nackten Füße bedeckten, und ich fühlte dabei einen Stich im Herzen. Ich gab ihnen Sonnentage, Feste, Spielzeug, Leckereien, Bilder, und sie verabredeten sich, um heimlich die Süßigkeit der Nächte auszukosten, die ich ihnen nicht gab.
«Was würdet ihr von einem Spazierritt halten?» fragte ich.
Ihr Augen glänzten. Ich sattelte mein Pferd, setzte Antonio vor
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