Alle Menschen sind sterblich
ich den Neugeborenen etwa die Augen ausstechen?»
«Nein», sagte sie. «Das glauben wir nicht.»
«Also warum?» fragte ich.
Sie gab keine Antwort.
«Mehr als zwanzig Städte blühen unter meinem Schutz. Nie sind die Leute von Montechiaro, von Orci oder von Paleva glücklicher gewesen.»
«Die Leute von Pergola sind anders», sagte sie.
Ich blickte sie starr an, sie hielt meinen Blicken stand. Die Leute von Pergola. Die Leute von Carmona. Eines Tages hatte auch ich diese Worte gesagt. Ich hatte die Frauen und Kinder in die Gräben gejagt. Warum? Ich blickte zur Seite.
«Laßt sie gehen», sagte ich.
Ohne Eile ging sie.
«Wir wollen weiterziehen.»
Meine Hauptleute sammelten ihre Soldaten, die ohne Murren gehorchten. Niemand hätte die Nacht in dieser Unheilsstadt verbringen mögen. Ich blieb als letzter zurück auf dem verlassenen Platz; das Schweigen der steinernen Mauern brannte mir im Herzen. Zu meinen Füßen lag eine Tote, ich hatte sie umgebracht und wußte nicht, warum.
Acht Tage darauf unterzeichnete ich einen Vertrag mit dem Herzog von Mailand.
Das bedeutete Frieden. Ich entließ meine Truppen, senkte die Warenzölle, schaffte die Luxusgesetze ab und lieh denKaufleuten von Carmona Geld, wobei ich selbst der Bankier war; durch mein Vorgehen nahmen die Gewerbe und die Landwirtschaft einen neuen Aufschwung, und mein Vermögen wurde sagenhaft wie meine ewige Jugend; ich machte es nutzbar für meine Stadt. Da, wo früher die alten Viertel gestanden hatten, ragten jetzt Paläste, schöner als die von Genua; ich rief Architekten an meinen Hof, Bildhauer sowie Maler; ich ließ eine Wasserleitung bauen, und Brunnen sprudelten bald auf allen Plätzen der Stadt; der Hügel bedeckte sich mit neu gebauten Häusern, und ausgedehnte Vorstädte schoben sich in die Ebene. Durch unseren Wohlstand angezogen, ließen sich zahlreiche Fremde in unseren Mauern nieder. Ich ließ aus Bologna Ärzte kommen und erbaute Spitäler. Die Zahl der Geburten nahm zu, die Bevölkerung wuchs; Carmona hatte jetzt 200 000 Bewohner. Mir verdanken sie das Leben, dachte ich voller Stolz; sie verdanken mir alles. So ging es 30 Jahre lang.
Das Volk jedoch war nicht glücklicher, als es vorher gewesen war. Die Leute waren besser gekleidet und besser untergebracht, aber sie mußten arbeiten ohne Unterlaß, und niemals hatte der Luxus der Nobili und der Bürger sich so schamlos hervorgetan; bei Armen wie bei Reichen waren die Ansprüche größer geworden, und von Jahr zu Jahr fanden die Arbeitsleute ihre Lage unerträglicher. Ich wollte ihr Los verbessern. Aber die Tuchmachermeister setzten mir auseinander, daß, wenn man die Arbeitsstunden verringerte oder die Löhne erhöhte, der Preis des Tuches entsprechend steigen würde; wenn wir dann nicht mehr fähig wären, es mit der auswärtigen Konkurrenz aufzunehmen, würden alle, Arbeiter und Händler, gleichmäßig brotlos sein. Sie sprachen die Wahrheit. Solange man nicht Herr des Erdkreises war, schien keinerlei Reform ernstlich durchführbar. Im Sommer 1449 war die Ernte schlecht; in ganz Italien stieg der Preis des Getreides sehr hoch, und die habgierigen Bauernverkauften den größten Teil ihres Korns in Pisa und Florenz. Als der Winter kam, war das Brot in Carmona so teuer, daß viele Arbeiter, außerstande, die Ihrigen zu ernähren, die öffentliche Barmherzigkeit um Hilfe anflehen mußten. Ich kaufte Getreide auf und verteilte es unter das Volk, aber sie wollten nicht nur Brot; sie wollten auch, daß sie nicht mehr nötig hätten, bei anderen betteln zu gehen. Ohne daß vorher irgend etwas von ihren Plänen durchgesickert war, scharten sich eines Morgens die Zünfte um ihre Fahnen; sie durchzogen die Stadt und plünderten mehrere Paläste; den Edelleuten und Bürgern blieb vor Schrecken nichts übrig, als sich in ihren Wohnungen gehörig zu verschanzen. Zu Herren von Carmona geworden, ernannten die Walker, die Weber und Färber 64 Ritter, die aus dem Aufstand Nutzen ziehen wollten, um mein Joch abzuschütteln. Sie versprachen dem Volk Brot, Streichung aller Schulden, und nachdem sie verkündet hatten, ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und gehöre als Hexenmeister verbrannt, gaben sie das Zeichen, meinen Palast zu stürmen! Sie riefen: «Nieder mit dem Teufelssohn! Nieder mit dem Tyrannen!» Durch die Fenster schickten ihnen meine Wachen einen Regen von Pfeilen entgegen; da flohen sie, der Platz war leer; aber dann stürzten sie sich von neuem auf das Tor
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