Alle Menschen sind sterblich
und versuchten, es aus den Angeln zu heben. Als es gerade nachgeben wollte, sprengten gegen Abend die durch Boten benachrichtigten Edelleute von den nahen Kastellen und befestigten Plätzen der Umgebung Carmonas durch die Stadt.
«Der Aufstand, Euer Durchlaucht, ist niedergeworfen! Die Straßen sind gesäubert von dem Hundepack!» rief der Hauptmann der Garden, als er in mein Zimmer trat. Hinter ihm hörte ich Freudengeschrei und ein Klirren von Eisen; lachend kamen Albozzi, Ferracci, Vincenzo Nero, meine Retter, nach ihm die Treppe herauf; Pferde stampften unter den Fenstern, und ich wußte, daß Blut an ihren Hufen war.
«Man soll aufhören mit dem Gemetzel!» rief ich erregt. «Man soll die Brände löschen und mich in Frieden lassen!»
Ich schloß die Tür und lehnte meine Stirn an das Fensterkreuz; auf dem Himmel, der strahlte wie bei Sonnenaufgang, stieg ein ungeheurer schwarzer Rauchschirm auf: die Häuser der Weber standen in Flammen, und ihre Frauen und Kinder brannten wie lebende Fackeln darin.
Es war spät in der Nacht, als ich das Fenster verließ und aus dem Palast hinaustrat; der Himmel war erloschen, und man hörte nicht mehr das Galoppieren der Pferde noch das rauhe Soldatengeschrei.
Am Eingang des Weberviertels hielten noch Truppen Wache vor rauchenden Trümmerhaufen; in den verlassenen Straßen lagen die Leichen aufgereiht: Frauen mit eingedrückter Brust, Kinder mit Gesichtern, die zerschlagen waren von den Hufen der Pferde; in den Ruinen lagen schwarzverkohlte Leichen. An einer Straßenecke vernahm ich langgezogene Klagelaute. Der Mond trat hinter den Wolken hervor, und in der Ferne heulte jammervoll ein Hund.
«Zu wessen Nutzen? Wozu?»
Aus der Tiefe der Vergangenheit schlug Tankreds Hohnlachen an mein Ohr.
Die Leichen wurden begraben, die Häuser wieder aufgebaut; ich gewährte den Handwerkern Nachlaß für ihre Schulden; im Frühling blühten die Mandelbäume wie in jedem Jahr, und die Webstühle schnurrten in den befriedeten Straßen. Aber in meinem Herzen war Asche zurückgeblieben.
«Warum so traurig?» fragte Laura. «Hast du denn nicht alles, was du dir auf Erden wünschen kannst?»
Ich hatte die ganze Nacht in ihren Armen gelegen: die Tage schienen mir jetzt zu lang, und ich verschlief alle Nächte. Den Kopf an ihre Brust gelehnt, hätte ich mich gernnoch einmal völlig versinken lassen in ihre milchweiße Süße; aber die Pfeile des Lichtes trafen schon meine Augen, ich hörte die Tagesgeräusche der Stadt; ich war aufgewacht, und ich langweilte mich. So sprang ich aus dem Bett.
«Und was kann man sich wünschen?»
«Ach, so viele Dinge.»
Ich lachte. Es wäre mir leicht gewesen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Aber ich liebte sie nicht. Ich liebte keinen Menschen. Während ich mich ankleidete, fühlte ich mich so schwach in den Knien wie an jenem Tag, da Caterina begraben war und mich nirgendwo etwas erwartete. Tag für Tag dieselben Gebärden, dachte ich bei mir. Immer ohne Ende. Werde ich jemals aufwachen können in einer anderen Welt, wo selbst der Geschmack der Luft auf der Zunge einmal ein anderer wäre?
Ich trat aus meinem Zimmer, ich trat aus dem Palast. Es war die gleiche Welt und immer das gleiche Carmona mit dem rötlichen Pflaster und den trichterförmigen Rauchfängen. Neue Standbilder waren auf den Plätzen aufgestellt; ich wußte, daß sie schön waren, aber ich wußte auch, daß sie durch Jahrhunderte stehenbleiben würden, wo man sie hingestellt hatte, und auch sie erschienen mir alt und fern wie die Bilder der Venus, die man tief vergraben in der Erde fand. Die Leute von Carmona gingen daran vorüber, ohne sie anzusehen; sie blickten weder die Statuen noch die Brunnen an. Wer hatte eigentlich etwas von diesem kunstvoll behauenen Stein? Ich ging aus den Mauern hinaus. Für wen war Carmona da? Auf seinem Felsen erhob es sich, unwandelbar durch Krieg und Frieden, durch Pest und Aufstand hindurch; und es gab in Italien hundert andere Städte, die ebenfalls auf Felsen erbaut und dabei genauso stolz und nutzlos waren. Für wen war der Himmel da, die Blumen auf der Wiese? Es war ein schöner Morgen, aber die Bauern beugten sich tief über ihre Erde und schauten den Himmelnicht an. Und ich, seit zweihundert Jahren immer mir selber gleich, war müde, ihn anzuschauen.
Ein paar Stunden lang ging ich ziellos umher. «Alles, was man wünschen kann.» Ich sprach mir wieder und wieder diese Worte vor, ohne das geringste Verlangen dadurch in mir zu erwecken. Wie fern
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