Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
so betroffen, daß er mir Mitleid einflößte.
    «Italien ist dazu bestimmt, bald die Beute des Königs von Frankreich zu werden oder Ihre Beute; ich interessiere mich für Italien nicht mehr, wohl aber für die Welt. Ich möchte, daß die Macht über sie in einer Hand vereinigt wäre, denn nur dann allein kann man sie gestalten.»
    «Aber warum sollten Sie mir helfen, sie in meiner Hand zu vereinigen?»
    «Ach, überlassen Sie das mir!» sagte ich. «Kämpfen Sie denn nicht selber auch für Ihren Sohn? Und für Ihren Enkel, der noch nicht geboren ist, und für seine Kinder, die Sie nie sehen werden?»
    «Für mich geht es um mein Haus», sagte er.
    «Der Unterschied ist nicht so groß.»
    Mit kindlich hilfloser Miene dachte er angestrengt nach.
    «Wenn ich Ihnen meine Kastelle und Festungen ausgeliefert habe, wird Sie nichts mehr hindern, Florenz in Ihren Besitz zu bringen. Haben Sie aber Florenz, so haben Sie Italien.»
    «So habe ich Italien», wiederholte er träumerisch.
    Seine vor Anstrengung gefaltete Stirn glättete sich allmählich. Er schwieg einen Augenblick und lächelte vor sich hin.
    «Jetzt ist es mehr als ein Monat», sagte er, «daß ich meine Leute nicht habe auszahlen können.»
    «Wieviel brauchen Sie?»
    «20   000   Gulden.»
    «Carmona ist eine reiche Stadt.»
    «20   000   Gulden monatlich.»
    «Carmona ist sehr reich», fügte ich lächelnd hinzu.
    Drei Tage darauf zog Maximilian in Carmona ein. Das mit goldenen Lilien geschmückte marmorne Wappen, welches zu Ehren Karls   VIII. inmitten der Stadt errichtet war, wurde abgetragen und durch das Wappen des Kaisers ersetzt; das Volk, das vor vier Jahren dem König von Frankreich zugejubelt hatte, jubelte jetzt den Kaiserlichen in gleicher Weise zu. Die Frauen warfen Blumen unter die Einziehenden.
    Eine Woche verging mit Turnieren und Festen, bei denen Maximilian ungeheure Schüsseln voll scharf gewürzter Speisen und große Krüge mit Wein zu sich nahm. Als wir uns eines Abends nach einem dreistündigen Mahl von der Tafel erhoben, stellte ich ihm die Frage:
    «Und wann ziehen wir gegen Florenz?»
    «Ach, Florenz!» sagte er.
    Seine Augen waren trübe und blutdurchschossen; er sah, daß ich ihn prüfend betrachtete, und sagte etwas von oben herab:
    «Unabweisliche Gründe rufen mich nach Deutschland zurück.»
    Ich verneigte mich: «Und wann reisen Sie?»
    Er entschloß sich im Augenblick: «Morgen früh.»
    «Ich reise mit Ihnen», sagte ich.
    Ich sah, wie er sich mit würdevollem, doch etwas unsicherem Schritt entfernte. Von einem solchen Kaiser ließ sich nicht sehr viel erwarten; im Verlauf einer Woche hatte ich ihn durchschaut: unwissend, fanatisch, begehrlich, ohne Ehrgeiz und ohne Beständigkeit. Jedoch mußte es möglich sein, Einfluß auf ihn zu gewinnen; und außerdem hatte er einen Sohn, dessen Wesensart meinen Erwartungen vielleicht besser entsprechen würde. Ich war entschlossen, ihm zu folgen. Ich verließ den Palast. Draußen schien hell der Mond; rauhstimmige Gesänge stiegen aus der Ebene auf, in der Maximilians Horden lagerten; vor zweihundert Jahrenhatten dort die Zelte der Genueser gestanden, rot zwischen silbergrauen Bäumen, und ich hatte die Tore Carmonas fest verschlossen gehalten. Ich gelangte zu dem Friedhof, auf dem Caterina und Antonio ruhten, ich saß auf den Stufen des Doms und ging rings um die Mauern herum. Das Wunder hatte sich vollzogen: das Leben hatte für mich einen neuen Geschmack bekommen, ich sah jetzt Carmona mit ganz anderen Augen an; es war eine fremde Stadt.
    Am Morgen, als ich das Tor durchschritten hatte, schaute ich zu dem von Türmen gekrönten Felsen auf, der so lange das Herz der Erde gewesen war; jetzt war er nichts weiter als ein winziger Bruchteil des Reiches, und die Erde hatte kein anderes Herz als das meine mehr. Ich war nackt in die Welt gestellt: ein Mensch von irgendwoher. Der Himmel über meinem Haupt war nicht mehr ein Dach, sondern ein Weg ohne Ende.
    Tage- und nächtelang ritten wir dahin. Der Himmel wurde fahler, die Luft begann kühler zu werden, die Bäume sahen schwärzer aus, der Erdboden weniger rot. Berge erschienen am Horizont; in den Dörfern standen mit Holz gedeckte Häuser, deren Wände mit Blumen und Vögeln bemalt waren. Man atmete unbekannte Düfte ein. Maximilian plauderte gern und häufig mit mir. Die katholischen Majestäten trugen ihm eine Doppelhochzeit an, die seines Sohnes Philipp mit ihrer Tochter Johanna und seiner Tochter Margarete mit dem Infanten Don

Weitere Kostenlose Bücher