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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Carmona verschimmeln?» sagte ich. «Was ist Carmona denn? Ich bin schon lange nicht mehr hier.»
    «Aber das kannst du doch nicht!» rief sie aus.
    «Ich weiß», sagte ich. «Carmona ist die Stadt, für die Antonio gestorben ist.»
    «Es ist deine Stadt. Die Stadt, die du so oft gerettet hast, über die du geherrscht hast zwei Jahrhunderte lang. Du kannst dein Volk nicht verraten.»
    «Mein Volk!» rief ich aus. «Es ist schon so oft gestorben! Wie kann ich mich mit diesen Menschen verbunden fühlen: es sind ja niemals dieselben.» Ich trat zu ihr und ergriff ihre Hände. «Lebe wohl. Wenn ich fort bin, wirst du vielleicht erst richtig zu leben anfangen.»
    Im Nu erlosch ihr Blick. «Zu spät», murmelte sie.
    Mit Reue im Herzen betrachtete ich ihre gealterten Züge. Hätte ich nicht so leidenschaftlich das Glück für sie gewollt, sie hätte geliebt, gelitten, gelebt. Endgültiger als Antonio hatte ich sie verloren.
    «Verzeih mir», sagte ich.
    Meine Lippen streiften ihr Haar; aber schon war sie nur mehr eine Frau unter Millionen von Frauen; selbst Zärtlichkeit und Reue hatten bereits den welken Duft von längst vergangenen Dingen.
     
    Es war Abend geworden. Ein kühler Wind stieg vom Fluß her auf. Aus dem benachbarten Speisesaal kam das Geklapper von Tellern und das Geräusch von Stimmen, und Regine erinnerte sich, daß vor kurzem die Uhr sieben geschlagen hatte. Sie blickte Fosca an.
    «Und Sie hatten die Kraft, noch einmal anzufangen?»
    «Kann man denn etwas dagegen tun, daß das Leben jeden Morgen wieder neu anfängt?» fragte Fosca zurück. «Sie wissen noch, was wir eines Abends sagten: wenn man auch alles schon weiß, so schlägt doch das Herz, und man streckt die Hand aus   …»
    «Und auf einmal ist man wieder dabei, sich die Haare zu kämmen», fuhr Regine fort. Sie sah sich um. «Glauben Sie, ich werde mir morgen auch noch die Haare kämmen?» fragte sie.
    «Ich denke doch», sagte er.
    Sie stand auf. «Wir wollen fort.»
    Sie verließen das Gasthaus.
    «Wohin gehen wir?» fragte Fosca.
    «Ach, das ist egal.» Sie zeigte auf die Straße: «Man kann ja jedenfalls dieser Straße nachgehen, nicht wahr?» Sie lachte. «Das Herz schlägt, und man stellt einen Fuß vor den anderen.» Dann fragte sie: «Ich würde gern wissen, was aus Beatrice geworden ist.»
    «Was soll aus ihr geworden sein? Sie ist eines Tages gestorben, weiter ist nichts darüber zu sagen.»
    «Weiter nichts?»
    «Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Sie hatte Carmonaverlassen, als ich wiederkam, und ich habe nicht geforscht, wo sie geblieben ist. Es gab auch gar nichts zu forschen. Sie ist einfach gestorben.»
    «Eigentlich», sagte Regine, «nehmen alle Geschichten schließlich ein gutes Ende.»

Zweiter Teil
    Auf den staubigen Arnoquais schritten zwischen pisanischen Truppen deutsche Soldaten einher, die jene um Haupteslänge überragten; der alte Palast der Medici war vom Lärm ihrer Stiefel und dem Klirren ihrer Sporen erfüllt. Ich mußte lange warten: ich war an Warten gewöhnt. Endlich führte mich eine Wache in das Kabinett, in dem der Kaiser saß. Er war blond, mit strähnigen Haaren, die steif hinter seinen Ohren standen, und hatte eine große, vorn abgeplattete Nase. Er schien etwa vierzig Jahre alt. Mit einer höflichen Gebärde lud er mich zum Sitzen ein. Er hatte seine Wachen entlassen, und wir waren allein.
    «Graf Fosca», sagte er, «ich habe mir schon oft gewünscht, Ihre Bekanntschaft zu machen.» Neugierig schaute er mich an. «Was man von Ihnen erzählt, ist wahr?»
    «Wahr ist, daß bis zu diesem Tage Gott mir gewährt hat, das Alter und den Tod zu besiegen.»
    Stolz antwortete er: «Auch Habsburg ist unsterblich.»
    «Ja», sagte ich, «und deshalb muß Habsburg die ganze Welt besitzen. Allein die Welt hat die gleichen Maße wie die Ewigkeit.»
    Er lächelte: «Die Welt ist groß.»
    «Die Ewigkeit ist lang.»
    Mit schlauen, mißtrauischen Blicken sah er mich wortlos prüfend an: «Und was für eine Bitte führt Sie zu mir her?»
    «Ich komme, Ihnen Carmona zum Geschenk zu machen.»
    Er lachte, und ich sah dabei seine weißen Zähne.
    «Ich fürchte nur, ein solches Geschenk kommt mich teuer zu stehen.»
    «Es wird Sie gar nichts kosten. Zwei Jahrhunderte herrsche ich jetzt dort, und ich bin es müde. Ich wünsche mirnur, daß Sie mir gestatten, mich Ihrem Glück zu verbünden.»
    «Und Sie verlangen dafür nichts?»
    «Was kann ein Mensch mir geben, und wenn es ein Kaiser wäre?» sagte ich.
    Er schien

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