Alle Menschen werden Schwestern
auf die Probe wankte und abends, immer noch bezecht, hinreißend den Othello, Hamlet oder Caliban spielte, mit leidenschaftlicher, intelligenter Stimme und suggestiver Bühnenpräsenz. 134
Was dem Spiegel sein Burton, ist dem Stern sein James Brown: Ihm wird zunächst bescheinigt, daß wir so ziemlich jede wirkliche Neuerung in der populären Musik der letzten 20-30 Jahre seinem Genie zu verdanken haben, und dann geht es los:
Meistens ließ Brown seine Gewaltausbrüche an Frauen aus. Seine Freundin Tammi Terrell [...] »prügelte er blutig«. Auch die damalige Mrs. Brown, Deirdre, wurde geschlagen.
Sein Opfer in den letzten Jahren war Ehefrau Adrienne. Für Sheriff [...] Heath [...] gehören Einsätze gegen den ausgerasteten Soul-König seit zweieinhalb Jahren zur Routine. Adrienne oder ihre Mutter baten 1984 einmal um Hilfe, 1985 dreimal, 1987 einmal, vergangenes Jahr sechsmal.
[...] In einer Zeit, da Rockstars Rebellion und chaotisches Leben nur noch auf der Bühne vorführen und sich privat der Vermarktung ihrer Person und der Anlage ihres Vermögens widmen, ist James Brown ein Anachronismus. Er hat sich die Wut des Jungen aus dem Slum von Augusta erhalten.
[...] Er hat eine feine Antenne für jede versteckte Demütigung [das ist keine Ironie!!]. 135
Diesen Supermännern gelingt das Unmögliche: »Frauenheld und Abenteurer, Whiskysäufer und Großwildjäger — und dann auch noch Schriftsteller und Dichter!« — »stark betrunken, aber hinreißend als Schauspieler«. Und, wie mann weiß: weltberühmt waren sie auch noch. Waren sie es nicht vielleicht gerade deswegen, weil sie so emsig gesoffen und herumgehurt haben? Genau dies scheinen die Texte zu suggerieren: Die außergewöhnliche Leistung ist das Ergebnis des Exzesses, nicht des Alltagstrotts, wie wir ihn kennen, Hinz und Kunz und Lieschen Müller. Eines Exzesses, wohlgemerkt, vor allem im Konsum: von Alkohol, Frauen und »dem Abenteuer/Leben«.
Auch fällt auf, daß die Helden vom Typ »genialer Wüstling« Anglo-Amerikaner sind: Hemingway, Burton, James Brown — von Kennedy wird noch zu reden sein. Die USA — das gelobte Land des Kapitalismus, der Werbung und des Konsums...
Im Laufe meiner Arbeit an diesem Aufsatz stieß ich in einer US-amerikanischen Zeitschrift auf folgende Heldensage:
Babe Ruth, who could cuss, guzzle and whore to outdo any sailor of legend, was also the most genial and accommodating of men. [Babe Ruth (ein berühmter Baseballspieler), der besser fluchen, saufen, fressen und herumhuren konnte als jeder noch so legendäre Seemann, war zugleich die Liebenswürdigkeit in Person.] 136
Wie sich doch die Bilder gleichen. Die Frage ist: Was soll mit diesem Stereotyp erreicht werden?
In derselben US-amerikanischen Zeitschrift fand ich folgende erhellende Information über eine umwälzende Strategie-Neuerung in der Geschichte der Werbung:
[...] Pepsi’s wildly successful »lifestyle« advertising campaign: the >Pepsi Generations The idea [...] was »not to sell the consumer on the virtues of the product but to position the product so that it gains an aura that the consumer wants to share. 137
Mein Stiefvater, seit einem Jahr im Ruhestand, war Manager. Er jettete von einem Termin zum nächsten. Jede Nacht in einem andern Hotel, das aber exakt so aussah wie das, was er gerade verlassen hatte. In seinen trostlosen Luxusgefängnissen las er gern den Spiegel und den Stern, selten die Zeit, wohl nicht nur, weil sie so unhandlich ist. Seinen Urlaub verbringt er meist in der schwedischen Wildnis, besonders gern auf Elchjagd. Der Urlaub sollte und soll möglichst das Gegenteil sein von dem, was er sonst so treiben mußte: frei, wild, abenteuerlich, selbstbestimmt.
Die Männerporträts im Stern und im Spiegel scheinen mir exakt auf seine Bedürfnisse und Urlaubsträume abgestimmt zu sein: »the product is positioned so that it gains an aura that the consumer wants to share«. Aber: Wer oder was ist hier das Produkt? Der Stern, der Spiegel ? Die Heldensage? Etwa der jeweils porträtierte Held selbst?
Spiegel und Stern sind Hochglanzbroschüren. Der Leser soll konsumieren und genießen wie diese Helden: erstens Frauen (dafür braucht er anscheinend teure Unterwäsche und Duftwässerchen, Designer-Kleidung, überhaupt teures Outfit bis hin zum Wagen und zur Wohnung, teure Geschenke für die Dame), zweitens Alkohol, drittens das Abenteuer Leben (Fluggesellschaften, Autos). Im Beruf soll er jedoch strebsam sein (Anzeigen für teure
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