Alle Orte, die man knicken kann
Jeweils zur nächsten Stunde ist dann die nächste Gang dran. Man erkennt sie am freundlichen, goldblitzenden Lächeln.
Karlsbrücke. Alle Touristenstädte haben das: einen Versammlungsort für Schnellzeichner, Banjospieler, Reklameverteiler, Tageszuhälter, Bootstouren-Anschaffer und für all die fliegenden Händler mit echtem Prager Schmuck aus China und authentischen böhmischen Tüchern aus Vietnam. In Prag ist die steinerne Karlsbrücke dieser Ort. Täglich versuchen vierzigtausend Menschen sie zu überqueren. Vom geisteskranken Habsburger Kaiser Karl in Auftrag gegeben, verbindet sie Altstadt und sogenannte
Kleinseite
. So heißt das Edelviertel unterhalb der Burg. Von den dreißig steinernen Brückenheiligen ist Nepomuk der am meisten umlagerte. Ihm werden magische Kräfte nachgesagt. Dazu müssen die Reliefs links und rechts unter seiner Statue berührt werden. Man streichelt den Hund links, um jemandem Böses zu wünschen. Und das Kleid der Jungfrau rechts, um sich selbst Gutes zu wünschen. Die digitalen Mikrophone, die das Tourismusamt für ein Jahr anbringen ließ, offenbarten: Links sind vorwiegend Flüche über die Stadt zu hören, rechts immer wieder der Wunsch, nie wieder hierher zurückzumüssen.
Hradschin, Burg und Veitsdom. Der Hradschin ist der Berg. Darauf sitzt die Burg. Zu ihr gehört der Dom, benannt nach dem von Rinderwahnsinn befallenen heiligen Veit («Veitstanz»). Ab Ausgang Karlsbrücke sorgen Pfeile im Straßenbelag dafür, dass niemand sich verirrt: Hier geht’s zu den Tickethäuschen. Ohne Eintrittskarte plus Fotolizenz darf man die Burg kaum von außen betrachten und im Dom nur eine Gebetsnische aufsuchen. Eigentlich reicht das. Der Dom ist düster. Die Fenster, durch die das Licht farbig hereinstrahlen könnte, sind dauerhaft verrußt. Die mit bunten Steinen verzierte Wenzelskapelle darf erst nach langem Anstehen im Gänsemarsch durchquert werden. Begeisterten Begleitern raten wir zum Besteigen des südlichen Turms. Die 270 Stufen und der ungetrübte Blick in Prags Schadstoffemissionen bringen auch Enthusiasten zum Schweigen. In den Gebäuden der Burg wird häufig noch der öde Wladislaw-Saal besucht, weil er im Ticketpreis inbegriffen ist. Die ranzige Gemäldegalerie im zweiten Hof wartet mit dem auf, was alle Fürsten überall gesammelt haben: Rubens, Tizian und barocke Schinken. Hübsch: die umgebenden Gärten. In ihnen nistet eine Zeckenart, welche die noch wenig bekannten Ehrlichiosen und Rickettsiosen überträgt. Einfach mal durchs Gebüsch streifen!
Goldene Gasse. Für den Gang durch das Goldmachergässchen muss eine Eintrittskarte erworben werden. Sie berechtigt zum Betreten der Souvenirshops, die sich in den kleinen Häuschen breitgemacht haben. Dass hier mal Alchemisten versucht haben, Gold herzustellen, glaubt heute niemand mehr. Dass
jetzt
Gold eingenommen wird, ist dagegen offensichtlich. Ansichtskarten, Kunstgewerbe, Spielzeug und Kafka- T-Shirts können hier zum Spezialgoldmacherpreis erworben und nach Prüfung der Qualität gleich hinterm Ausgang in die dafür bereitgestellten Müllcontainer geworfen werden.
Jüdischer Friedhof. Ab zehn Uhr vormittags lassen die Reisebusse beim jüdischen Museum am alten Friedhof die Bremsen zischen. Wer nicht vorgebucht hat, muss jetzt lange für eine Kombikarte anstehen. Denn ein Foto des Gedränges von zehntausend Grabsteinen aus sechs Jahrhunderten ist zwingend. Erstens, weil es schön labyrinthisch wirkt. Zweitens, weil es ein Beweis der Unschuld ist. Deutsche Besucher schließen sich gern der jüdischen Tradition an und legen ein Steinchen auf einen Grabstein, etwa des Rabbis Löw, um ihm nachträglich ihre Solidarität zu signalisieren. Die im Ticket inbegriffenen Synagogen und Museen sind weniger malerisch, bieten aber kostenlose Kopfbedeckungen (Alt-Neu-Synagoge) und die Herausforderung, die Wärter zu überlisten, die die Einhaltung des Fotografierverbotes überwachen sollen.
Sonst noch was? Die
Kleinseite
wird im selten überarbeiteten Reiseführer noch als Insidertipp ausgegeben. Sie ist längst das touristische Zentrum und zu einem kulissenhaften Themenpark herausgeputzt worden. Wer sich zwischen den Palais und Kitschläden als Insider fühlen will, muss tief in die Tasche greifen (am besten nicht in die eigene). Wer auf der Karlsbrücke einem der als Matrosen kostümierten Anschaffer erlegen ist, muss eine
Moldaufahrt
antreten. Fünfhundert Meter in die eine Richtung, fünfhundert Meter in die andere.
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