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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Reise
ist berühmt. Unter anderem, weil der Meisterdichter es nicht für nötig hielt, in Florenz Station zu machen. Dafür entschuldigte sich gut hundert Jahre später Adolf Hitler persönlich beim Kollegen Mussolini, als beide bewundernd durch die Stadt schritten. Florenz sei zugleich malerisch und großartig, Goethe habe geirrt. Doch wer Florenz erleidet, weiß: Goethe hatte recht. Man muss die Stadt weiträumig umfahren.
    Die düstersten Highlights
    Sechs Millionen Besucher kommen pro Jahr in die Stadt. Ab zehn Uhr füllen sie die Gassen, wollen Eis essen und suchen öffentliche Toiletten. Zwischendurch müssen sie die Liste der Sehenswürdigkeiten abhaken. Glück gehabt: An Scheußlichkeiten ist kein Mangel.
    Der David.  «Die am schlechtesten proportionierte Skulptur der Renaissance», laut Bildhauer Auguste Rodin, steht als Kopie vor dem Rathaus. Die kurzen Beine und der Wasserkopf werden vonFremdenführern damit entschuldigt, die Figur habe weit oben stehen sollen und wäre dann nicht so genau zu erkennen gewesen. Jetzt ist sie allzu genau zu erkennen. Die Florentiner Denkmalschutzbehörde erhält pro Tag etwa hundert Mails mit Hinweisen zur Penis-Verlängerung. Die Behörde stuft die Mails als «ernst zu nehmen» ein, es müsse aber Marmor sein.
    Palazzo Vecchio.  Das alte Fabrikgebäude hinter dem David wird nun leider doch noch nicht abgerissen. Stattdessen ist es von der Stadtverwaltung mitsamt seinen nachgeahmten Zinnen und seinem klobigen Antennenturm als «Palazzo» auf die Liste des Weltkulturerbes geschmuggelt worden. Das bedeutet, dass es mit Steuergeldern aus allen Ländern der Welt künstlich am Leben erhalten wird.
    Dom.  Wegen seiner dröhnenden Monstrosität war er das Lieblingsgebäude von Albert Speer, der es als «großartigsten Ausdruck einer Führerreligion» in Berlin nachbauen wollte. Innen ist er zum Glück dunkel und zur Schonung der Betrachter ganzflächig mit Gerüsten und Bauplanen abgedeckt. Sehenswert wäre sonst die Decke der Kuppel. Ihre Ausmalung gilt als bedeutendste Renaissance-Darstellung von Würmern und Maden. Freskenmaler Giorgio Vasari hatte Engel, Heilige und von Gott Gerichtete porträtieren sollen. In seinem «tiefempfundenen Mitgefühl für kleine Kreaturen» gerieten ihm Heilige und Sünder zu Raupen, Engel zu Engerlingen. Unbedingt zoomen!
    Baptisterium.  Die Reiseführer schreiben voneinander ab, die Bronzetüren der Taufkapelle seien «künstlerisch bedeutsam». In Wahrheit enthalten sie lediglich Reliefs mit ermüdenden biblischen Szenen. Der amerikanische Trancetherapeut Milton Erickson benutzte Abbildungen der Reliefs, um seine Klienten in Schlaf zu versenken. Deshalb sind weniger die Darstellungen sehenswert als vielmehr die Touristen, die beim Betrachten leisezu schwanken beginnen und umzukippen drohen (Rettungssanitäter im ockerfarbenen Gebäude dahinter!). Reisende lieben das Baptisterium, weil es erheblich kleiner ist als der Dom und Schlafpolster bereithält.
    Uffizien.  Das laut Picasso «deprimierendste Kunstgefängnis des Abendlandes» beherbergte ursprünglich die Verwaltung der Stadt, bis im Laufe weniger Jahre dreiundzwanzig Beamte in den bedrückenden Räumen Selbstmord begingen. Seither müssen stündlich wechselnde Wärter die inhaftierten Gemälde und die zur Besichtigung verdammten Touristen bewachen. Kenner bleiben draußen, genießen den Anblick der Schlangen am Eingang, zitieren Picasso und gehen Kaffee trinken.
    Ponte Vecchio.  Die Brücke sieht nicht nur aus wie ein langgestrecktes Klogebäude, sie riecht auch so. Sie gilt als wichtig, seit das italienische Militär ihre Erschütterungen misst. Weil sie im Jahr von sechs Millionen Touristen mindestens zweimal überschritten wird, dazu von einer halben Million Einheimischen, lässt sich an ihren Mauerrissen die Belastbarkeit von Brücken für Fußtruppen studieren. Ebenfalls hier zu Hause: die Brückenspinne, die nur einen Zentimeter groß wird, dafür aber nachts in Zehntausendschaften aufmarschiert. Während der gewöhnliche Mitteleuropäer im Laufe seines Lebens durchschnittlich nur drei Spinnen unfreiwillig bei Nacht verzehrt, kommen brückennah wohnende Florentiner auf viele hundert dieser eiweißhaltigen Tiere.
    Palazzo Pitti, Palazzo Antinori, Palazzo Medici Riccardi, Palazzo Rucellai und weitere rund zweihundert Paläste sind allesamt wunderschön, solange man sie nicht besichtigen muss. Lediglich drei Prozent der Bildungstouristen können eine Woche nach der Besichtigung

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