Alle Orte, die man knicken kann
Und noch mal. Staustufen verhindern eine Flussfahrt. Zum Gruseln langweilig. Tiefpunkt der Neustadt ist der
Wenzelsplatz
. Auf ihm wurde mal für die Freiheit demonstriert. Sie ist erreicht. Gleich dahinter beginnt das Rotlichtviertel.
So wird man lästige Mitreisende los
Im Café und danach. In Prag gab es in den zwanziger Jahren eine Kaffeehauskultur. Schwärmer glauben, die gebe es noch heute. Promotionagenturen haben deshalb dafür gesorgt, dass sich einige Cafés – etwa das Slavia und das Imperial – nostalgisch geben. Dass die Kellner hier dem Gast ins Portemonnaie greifen, kommt vor, oft aber nur symbolisch. Die Aufschläge für Besteck und Servietten treiben die Kosten für einen Espresso leicht in die Höhe eines Gourmetmenüs. Das empfehlen wir also unserem nervtötenden Romantiker. Unabdingbar: der anschließende Gang durch die Fußgängerzone. Das zwangsläufige Abhandenkommen der Brieftasche soll er auf der Wache zur Anzeige bringen (für die Versicherung). Geschätzte Zeit für den bürokratischen Akt: sechs Stunden.
Taxifahren zum Vyšehrad. Fremden wird geraten, den Preis für eine Fahrt schon beim Einsteigen abzumachen. Natürlich auf Tschechisch. Englisch versteht der Fahrer nur, wenn er will. Wir raten unserem liebenswürdigsten Mitreisenden zu einer Taxifahrt auf den Vyšehrad. Anders kommt man nicht auf diesen herrlichsten aller Aussichtspunkte. Er wird vermutlich auch mit dem Taxi nicht hinkommen, und wenn, dann kehrt er völlig verarmt zurück. Eher aber wird er zu den jährlich rund zehntausend Fahrgästen gehören, die nach Überlassung ihrer letzten Barschaft in einem fernen Stadtviertel ausgesetzt werden.
Fenstersturz. Beim klassischen Prager Fenstersturz wirft sich der Gast aus Verzweiflung über die Stadt in die Tiefe. Manchmal muss nachgeholfen werden. Dieser Brauch, der durch Vorbilder aus dem 15. und 17. Jahrhundert zur Tradition wurde, wird von der jungen Generation wieder mit Hingabe gepflegt. Wenn wir von einem nervigen Mitreisenden endgültig genug haben, reichtalso schon der gute Rat: Stell dich mal ans Fenster! Etwa in der Burg, im Strahov-Kloster oder auf dem Altstädter Brückenturm. Meist findet sich ein traditionsbewusster junger Prager, der mit einem kleinen Schubser der alten Sitte frönt. Kenner der Stadt springen selbst.
Typisch Prag
Golem. Um 1580, als anderswo Galilei, Montaigne und Shakespeare sich emsig bemühten, erreichte der geniale Rabbi Löw in Prag den Gipfel der Kreativität: Aus Lehm und Wasser schuf er einen Menschen. Einen kostenlosen stummen Diener. Dieser Golem, Joseph genannt, ging auf Streife, machte sauber und läutete die Glocken. Angeblich war er nicht geschlechtsreif. Der Prager Autor Bohumil Hrabal hielt den Golem jedoch für den Urvater eines Großteils der Einheimischen, «denn die meisten sehen matschig aus, sind der Sprache nicht mächtig und lediglich zum Ausführen von Befehlen geeignet».
Delirium tremens. Prag ist in Europa und vermutlich in der Welt die Top-Stadt der Alkoholiker. Damit der Spitzenplatz gehalten werden kann, fängt man früh an. Ein Drittel der Jugendlichen unter sechzehn trinkt regelmäßig; die Dunkelziffer ist höher. Das tschechische Sprichwort «Er trinkt wie ein Däne» bedeutet nicht, jemand trinke viel, sondern zu wenig. Die Tschechen trinken zügiger und mehr und erreichen die Alkoholdemenz in einem früheren Alter als die Trinker jedes anderen Landes. Ein 2008 erlassenes Gesetz, das öffentliche Besäufnisse auf zentralen Plätzen und vor Sehenswürdigkeiten untersagt, konnte bei Einheimischen nur anhaltendes Kopfschütteln bewirken (
Delirium tremens
).
Organspenden. In ganz Tschechien gilt: Wer sich nicht schriftlich und notariell gegen eine Organspende ausgesprochen hat, ist als Spender anzusehen, sobald er sein Leben ausgehaucht hat. Etwa wenn er versehentlich überfahren wurde oder bei einem Spaziergang einen Ast oder schweren Gegenstand über den Schädel bekommen hat. Organhandel galt schon im Ostblock als wichtigster Devisenbringer. In den Nachfolgestaaten ist er zur dynamischsten Branche geworden. In Prag besonders rar und begehrt: funktionierende Lebern. Offiziell dürfen Touristen noch nicht gegen ihren Willen als Organspender geplündert werden, doch das Parlament berät mangels Nachschub über eine Änderung des Gesetzes.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Der Poet Jan Neruda beschrieb die Zusammensetzung des gewöhnlichen Prager Bürgers: Er bestehe zu einem Drittel aus
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