Alle Orte, die man knicken kann
Gespräch unter Reisenden reichen nach Ansicht des Kunsthistorikers Ernst Gombrich fünf stichwortartige Einwürfe: Medici, Michelangelo, David, Giotto, Botticelli. «Sagen Sie: ‹Michelangelo liegt mir nicht›», rät Gombrich, «oder: ‹Die Medici sind ein eigenes Thema›, oder: ‹Der David – na ja, na ja!›, damit können Sie einen Abend mühelos bestreiten.»
Das meinen Kenner
«Man muss in Florenz gewesen sein, um zu wissen, dass man die Zeit besser zu Hause verbracht hätte.»
– Cesare Pavese, Schriftsteller
«Gut geeignet für das versehentliche Zurücklassen älterer und zerstreuter Familienmitglieder.»
– Natalia Ginzburg, Autorin
«Die Altstadt ist immer schön, wenn sie wegen einer Bombendrohung geräumt werden muss.»
– Alberto Moravia, Romancier
Z um Glück führen nur wenige Wege nach Rom. Und doch geschieht es immer wieder, dass Unglückliche sich in diese Stadt verirren. Einigen hat man eingeredet, sie müssten unbedingt alte Ruinen sehen. Andere wollen die Sixtinische Kapelle spielen hören. Wieder andere möchten dem Papst eine Audienz erteilen. Berühmt geworden ist Rom zuletzt vor allem als Ziel amtsmüder Lehrer. Keine andere europäische Stadt garantiert derartig gründliche Hörstürze, in keiner schwimmt so viel Asselkot im Trinkwasser. Bereits ein zehntägiger Aufenthalt, so die Lehrergewerkschaft, reicht für eine Frühpensionierung.
Die langweiligsten Denkmäler
Selbst wer sich nur einen Tinnitus holen will, kommt um das Abschreiten von Gesteinsbrocken und Mauerresten nicht herum. Nur die Kombination von Verkehrslärm, Abgasen und Bildungsresten führt zu den erwünschten Symptomen.
Kolosseum. Die antike Arena wurde jahrhundertelang als Steinbruch genutzt. Was jetzt zu sehen ist, ist ein Nachbau, der allerdings noch zu tödlichen Kämpfen genutzt wird. Weil die Sitzreihen ungewöhnlich steil übereinander angeordnet sind, stürzen regelmäßig Besucher ab – und keineswegs immer versehentlich, wie ein Kronzeuge im Camorra-Prozess jüngst gestand. Auch bei Reisegruppen genügt oft schon ein freundschaftlicher Stups, um ein wackeliges Mitglied Kapeister gehen zu lassen (Kameras bereithalten!). Nach Schätzung der Tourismusbehörde sind in der Neuzeit mehr Besucher im Kolosseum zu Tode gekommen als einst Gladiatoren oder Tiere. Siehe Kreuze, Inschriften, Gedenkkerzen.
Forum Romanum. Die Trümmerlandschaft war vor zweitausend Jahren angeblich das Zentrum der Stadt. Den Nobelpreisträger Iwan Bunin erinnerte sie an Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Grober Schutt liegt immer noch herum. Einige Säulenreste sind aufgerichtet und einige Steine zu fiktiven Grundmauern zusammengesetzt worden. Phantasienamen wie «Kurie», «Janustempel» oder «goldener Meilenstein» sollen antike Assoziationen wecken, die sich im umgebenden Verkehrslärm jedoch rasch verflüchtigen. Übrigens muss man nicht über die Steine stolpern. Der Blick vom Kapitolshügel nebenan genügt. «Das Forum bleibt eine Stoppelwiese mit Gesteinsbrocken», seufzte der Poet Eugenio Montale. «Solche wüsten Plätze gibt es ja leider in jeder Stadt.»
Petersdom. Buddhisten werden häufig aufgefordert, für einen Tempel oder einen Lama zu spenden. Das verbessert ihre Aussichtenauf eine günstige Wiedergeburt. Vor fünfhundert Jahren entstand auf diese Weise der Petersdom: Christen konnten ihre Position im Jenseits heben, indem sie spendeten. Der so finanzierte Monsterbau gilt heute als «finsterstes christliches Symbol seit Golgatha» . (Graham Greene). Der Papst feiert hier trotzdem manchmal Weihnachten. In verschlossenen Schreinen werden wichtige Reliquien aufbewahrt: Milch aus der Brust von Maria, Knochen des Petrus aus verschiedenen Jahrhunderten, das letzte Gebiss des Augustinus und der große Zeh des Bischofs Marcel Lefebvre. Apropos: Fußlahme Pilger dürfen auf dem im Inneren kreisenden Putzwagen mitfahren. Verletzung vortäuschen gilt als lässliche Sünde.
Sixtinische Kapelle. Die Sixtinische Kapelle ist Teil der vatikanischen Museen und vom Petersplatz aus an einer langen Warteschlange erkennbar. Die Wartezeit beträgt durchschnittlich zwei Stunden. Um sie zu verkürzen, bieten Händler Souvenirs, Regenschirme und Halskrausen aus Schaumstoff an. Letztere sind unverzichtbar, weil die berühmtesten Gemälde an die Decken der Gemächer gepinselt wurden. Der Rundgang ist sieben Kilometer lang. Die beste Möglichkeit zum Hörsturz besteht in der Sixtinischen Kapelle selbst. Sie ist
Weitere Kostenlose Bücher