Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
Vom Netzwerk:
die oben genannten Paläste noch unterscheiden. «Das war doch im   …?» – «Nein, das war   …, oder?» – Eben.
    So wird man lästige Mitreisende los
    Es gibt immer wieder Mitreisende, die ihrer Begeisterung lauthals Ausdruck verleihen, damit man sie für kultiviert hält. Sie sagen keinen Ton mehr, vielleicht nie mehr, wenn man sie auf den Turm des Doms schickt, auf den sogenannten Campanile . «Von dort hast du einen unvergleichlichen Rundblick.» Vor allem auf den Industriegürtel, der die Altstadt umgibt. Wir können nicht mit. «Ich habe mir leider eben den Fuß verstaucht.» Für den Anstieg auf die achtzig Meter hohe Plattform sind über vierhundert Stufen in ungleicher Höhe zu bewältigen. Von den täglichen 43   Verdachtsfällen auf Herzinfarkt in der Florentiner Hochsaison ereignen sich zwei Drittel nach der Besteigung des Turms – übrigens meist während des Abstiegs. Wenn unser Mitreisender von oben winkt, bedeutet das noch nicht, dass er unten auch noch die Hand heben kann. Falls er überlebt: auf zum Ponte Vecchio ! «Die Läden da musst du dir ansehen, aber in aller Ruhe, lass dir richtig Zeit, versenke dich in die vielfältigen Auslagen!» Diese italienische Top-Adresse für Taschendiebstähle wird er nicht unbeschadet überstehen. Andernfalls müssen wir ihn bei Abenddämmerung in die Boboli-Gärten bringen. «Hier ein einsamer Spaziergang, allein mit der Natur, das wird richtig guttun!» Ihm bestimmt nicht, aber uns.
    Typisch Florenz
    Pest.  «Die Geschichte der Pest liest sich wie eine Geschichte von Florenz und umgekehrt», notierte Giovanni Boccaccio, als er vor der Seuche floh. Bis heute gilt Florenz als eine Art Durchlauferhitzer für ansteckende Krankheiten. Mehrere spezialisierteForscher haben deshalb hier ihre Institute. Ob der Rattenfloh mit dem beliebten Bakterium
Yersinia pestis
eingeschleppt wurde oder aus ihren Labors stammt, wird sich nicht mehr feststellen lassen.
    Verbannung.  Die Verbannung von Künstlern unter Androhung der Todesstrafe blickt in Florenz auf eine siebenhundertjährige Tradition zurück. Damals wurde der Poet Dante Alighieri aus der Stadt getrieben; falls er wiederkäme, würde er erst verbrannt und dann enthauptet oder umgekehrt. Seither gilt das Wort des Lorenzo Medici: «Nur was die Führer schmückt, ist Kunst.»
    Korruption.  Die florentinischen Adelsfamilien haben die Korruption nicht erfunden, aber zu einer bewunderten Kunst entwickelt. Die Medici waren zunächst Bankiers des Vatikans, bevor sie eigene Familienmitglieder zu Päpsten wählen ließen, deren Kinder wiederum Kirchenfürsten wurden. Eine Familienangehörige namens Caterina brachte es bis zur Königin von Frankreich, wo es ihr gelang, die andersgläubigen Hugenotten weitgehend auszurotten und den Rest zu vertreiben.
    Luftverschmutzung.  Der Prediger Girolamo Savonarola war der Barack Obama seiner Zeit: Erst die große Hoffnung, dann die noch größere Enttäuschung; erst ein Messias, dann nur noch zum Kreuzigen gut. Der demagogisch begabte Mönch prangerte Missstände an, zunächst in der Kirche, was sehr gut ankam, dann bei den florentinischen Mächtigen, was gut ankam, schließlich beim Volk, womit der letzte Rückhalt geschwunden war. Er wurde gehängt und verbrannt. Der Rauch seines Leichnams verdunkelte tagelang den Himmel. Das ist fünfhundert Jahre her, doch die Luft ist seither nie wieder lichtdurchlässig geworden. Die Luftverschmutzung in Italien liegt ohnehin vierzig Prozent über E U-Dur chschnitt . Florenz hat es nach Mailand, Palermo und Neapel auf Platz vier der dicksten Luft geschafft, will aber die Top-Position erreichen.
    Unverdauliche Landesspezialitäten
    Was Einheimische nicht essen wollen, das bieten sie den Touristen als Spezialitäten an. Zum Beispiel
baccalá alla fiorentina
(Stockfisch in rötlicher Soße mit grünen Punkten),
bollito misto con salsa verde
(gekochte Zungen und weitere gemischte Weichteile unklarer Herkunft, grün übergossen),
tripa alla fiorentina
(Fransen und Zotteln aus dem Inneren verendeter Borstentiere) oder
biscotti di prato
: steinharte Lieblingskekse der ansonsten unterbeschäftigten Zahnärzte vor Ort. Deutsche Kassen ersetzen Schäden durch
biscotti
seit 2009 nicht mehr.
    Das reicht für das Expertengespräch
    Beim Test nach drei Monaten wissen Florenzreisende nur noch, dass es in der Stadt viele Renaissancegebäude gibt. Wann die Renaissance war, haben sie schon wieder vergessen – wenn sie es jemals wussten. Für ein

Weitere Kostenlose Bücher