Alle Orte, die man knicken kann
und wird nicht so bald in Erfüllung gehen. Ein neues Flutsperrwerk nach dem Vorbild Rotterdams lässt sogar befürchten, Venedig bleibe ewig stehen. Wenn es trotzdem einen Grund gibt, für einen Tag hinzufahren, dann den Widerstand des Fremdenverkehrsamtes: Es will keine Tagestouristen. Die bringen ihre eigenen Lunchpakete mit, statt schimmelige Hotelzimmer zu buchen und in Kantinenrestaurants Luxuspreise für Spaghetti zu zahlen. Die Brücken und Gassen und den Markusplatz nutzen diese Tagestouristen trotzdem. Aber lohnt sich das? Nur wenn man sich scheiden lassen will, behaupten italienische Soziologen. Nirgendwo, wollen sie beobachtet haben, zerstreiten sich Paare so gründlich und mit so düsteren Folgen wie hier. «Das liegt an den romantischen Erwartungen.» Und die sind alles andere als berechtigt.
Die wichtigsten Romantik-Killer
Canal Grande . Gewöhnlich besteigen alle Touristen am Piazzale Roma ein Fährschiff der Linie 1. Die Reiseführer raten dazu. Das Schiff, eng bepackt wie ein Flüchtlingsboot, fährt im Zickzack denCanal Grande entlang, die Hauptverkehrsader Venedigs. Bis zum Markusplatz sind es vier Kilometer. Bis dahin werden zweihundert Häuser und Kirchen passiert, pro Person durchschnittlich dreiundachtzig Fotos geschossen und je Lunge elf Kubikmeter Diesel, Deo und Achselschweiß eingeatmet. Die Erleichterung beim Aussteigen ist groß. Ihr folgt die Erkenntnis, dass die überstandene Schaukelfahrt das Beste war. Alle anderen Blicke auf Venedig sind trüber und riechen strenger. Von jetzt an geht’s bergab.
Markusplatz. Man kennt den Platz und die ihn umgebenden Fassaden. Nur sieht er auf Fotos und Canaletto-Gemälden stiller aus. Es ist laut hier, auch ohne Autos. Der italienische Vogelschutzverband hat den Platz zum elegantesten Taubenklo der Welt gewählt. Das marmorne Pflaster ist zugleich Ort der dauerhaftesten Menschenversammlung der Welt, nicht mal die Teilnehmer scheinen zu wechseln. Sie sehen immer gleich aus. Die Schlangen vor Dom und Dogenpalast verleiten zu der irrigen Vermutung, im einen oder anderen gebe es etwas zu sehen. Doch wer sich durch den Dom schieben lässt, sieht trübe Mosaiken. Und im Dogenpalast herrscht die Ödnis großer leerer Räume. Den einzeln stehenden Glockenturm besteigt nur, wer unbedingt das Bild live sehen will, das von der oben befestigten Webcam gesendet wird.
Rialtobrücke. Viele Gäste werden beim Anblick dieser Brücke von Ekel erfasst. Nach neueren Studien liegt das nicht am Stau verschwitzter Touristen vor den Souvenirläden. Vielmehr fühlen die meisten Besucher sich vom Anblick an billige Pizzerien und Eiscafés erinnert, die
Rialto
oder
Venezia
heißen. Auf deren Wände, Speisekarten und Papierservietten ist die Brücke gepinselt. Sie ist das Erkennungsmotiv Venedigs. Mit einer Gondel im Vordergrund ist sie so oft gemalt worden, dass selbst originellen Besuchern nichts anderes einfällt, als sie malerisch zu finden. Der italienische Surrealist Giorgio de Chirico gelobte, jeden zu ohrfeigen, dersie noch einmal zum Motiv nähme. Doch selbst extrem wütende Besucher würden an der Vielzahl der ausstellenden Maler scheitern. Die Strecke zwischen Markusplatz und Rialtobrücke gilt als meistbegangene Meile der Welt. Trotz zahlloser Wegweiser landen arglose Touristen immer wieder auf einer der beiden anderen Canal-Brücken, halten
die
für Rialto und werden dort völlig zu Unrecht glücklich.
Museen. Bei Regen kommt es immer wieder vor, dass Venedig-Besucher Kunstinteresse vortäuschen. Vergeblich betont dann die örtliche Tourismusbehörde, die ganze Stadt sei ein Museum und benötige deshalb keine eigenen Bauten für Gemälde. Die paar zweitklassigen Ausstellungen werden gestürmt, vielleicht auch, weil die Cafés so teuer sind (Cappuccino zehn Euro, kleines Bier zehn Euro). Also Kunst. Die
Galleria dell’Accademia
gibt Giorgiones
Tempesta
(Gewitter) als Hauptwerk der Sammlung aus. Es ist eines der frühesten Landschaftsgemälde – und eines der schwächsten. Ein Blick ins Web reicht. Nicht fern der
Accademia
befindet sich die
Collezione Peggy Guggenheim
. Sie widmet sich den verschnarchtesten Werken der sogenannten klassischen Moderne. Wer draußen bleibt, kann bei beiden Museen beobachten, dass die Besucher sie noch verregneter verlassen, als sie sie betreten haben. Und es gibt noch mehr Museen.
Kirchen. Die venezianischen Kirchen genießen den Ruf, im Sommer Kühle und Schatten zu bieten. Obwohl sie seit geraumer Zeit Eintritt
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